
© dpa
Kultur: Requiem für den Selbstmörder
Verklärendes Konzert zu Kurt Cobains Todestag
Stand:
An diesem 5. April 1994 sollte die Welt kurz stillstehen: In den Nachrichten kam, dass Kurt Cobain sich das Leben genommen habe. Mit einer Schrotflinte erschossen, die er sich in den Mund gesteckt und abgedrückt hatte. Damit war er in den Kreis der 27-Jährigen aufgenommen, die sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens aus der Welt katapultierten: Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison oder später Amy Winehouse.
Damit schwappte, das muss man auch sagen, der Grunge aus Seattle erst recht nach Europa: Pearl Jam, Soundgarden und allen voran die großartige Band Nirvana, deren Sänger Cobain sich eben erst ins Jenseits befördert hatte. Niemals wieder konnte dem pubertären Ideal musikalisch so gehuldigt werden – laut, schräg, aufmerksamkeitserregend, und im Fall des Scheiterns eben tot. Kinnlange, strähnige Haare, Holzfällerhemd, Chucks, Wollmützen – Grunge bot neben seinem musikalischen Identitätspotenzial auch Uniformierung, zumal die 90er-Jahre popmusikalisch ja eine einzige Katastrophe waren. Bis heute scheint es unvorstellbar, dass sich aktuell etwas wiederholen könnte, das so magnetisch auf den Selbstfindungsprozess einwirkte.
Diesem Geist der 90er-Jahre wollte der kanadische Sänger Dusk wohl auch am vergangenen Sonntag huldigen, so wie jedes Jahr zu Kurt Cobains Todestag. In der „fabrik“ spielte er mit seinen Bandkollegen die Hits von Nirvana – Cobain wäre ja mittlerweile auch schon 48 und damit ein Zeitgenosse des Kanadiers. Mit seinem Requiem inszenierte er jedoch genau das, was die echten Nirvana-Fans der Band nie verziehen: ein Unplugged-Konzert für den Musiksender MTV in New York, die ganzen bräsigen Songs als weinerliche Variante eines weichgespülten Nirvana-Auftritts. Dass man den Irren aus Seattle ausgerechnet auf ein einziges Konzert reduziert, das er auch noch dem verhassten Musiksender gab, ist selten tragisch – und sicherlich würde Cobain im Grabe rotieren, wenn er diese Reduzierung erleben könnte. Als ob er gewollt hätte, dass Dutzende in die Jahre gekommene Anhänger zu „Jesus don’t want me for a Sunbeam“ kollektiv flennen würden. Nein, Cobain, Platz eins der am besten verdienenden Toten, hätte wohl eher seine Gitarre zerschlagen und wäre mit Anlauf ins Schlagzeug gesprungen. Vielleicht sollte man ihn einfach nur ruhen lassen – und 21 Jahre später auch mal das würdigen, wofür Nirvana nämlich stand: Rebellion. Und die wäre zweifelsfrei lauter. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: