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Kultur: Rinderschlitzen

Geschichten aus dem Raum für vergängliche Kunst bei Unidram

Stand:

„Rinderschlitzen“ nennt Robert Atzlinger von „theatertabs – raum für vergängliche Kunst“ aus Stuttgart sein beziehungsreiches Drama, das am Sonntagabend bei Unidram aufgeführt wurde.

Auf der Bühne neben einer Toilettenschüssel, wie es sich gehört, ein Waschbecken, dessen Wasser bei Gebrauch in den darunter stehenden Eimer schoss; viele Bierdosen, politisch korrekt mit Silberfarbe die Marke übersprüht; ein Überwachungsmonitor, auf dem man immer mal wieder zum Parkplatz schauen und darüber wachen konnte, ob die einsam parkenden Autos nicht gerade aufgeschlitzt wurden. Im linken Bilddrittel, von unerbittlichen Spots angestrahlt, die Frau im roten Ensemble mit einer 50er Jahre-Brille und Sekretärinnenfrisur derselben Epoche als Pan (Ulrike Helmholtz). In ihrem Schoß hielt sie wie ein Baby eine zu Beginn des Stückes noch langblättrige Grünpflanze warm. Sie sorgte für den Soundtrack, der mal als juchzendes „Jah“-Gestöhn, mal als Schreisound rüberkam, immer mit Hall vervielfacht und verstärkt, fast ohne Unterlass während der Anderthalbstundenperformance.

Der Schwerpunkt des Schauspiels lag auf Robert Atzlinger, der mit Head-Set, Security-Jacke, Turnschuhen, weißem Hemd und Krawatte das Aussehen eines privaten Sicherheitsbeamten hatte – den er auch mimte, wenn der denn gerade dran war in der Performance, die von dem Schauspieler und Autor des Stückes nicht nur ein fittes Gedächtnis verlangte, sondern auch ein feines Gespür für die Nuancen seines Textes. Der war eher eine Art Langgedicht und spielte mit vielen sprachlichen Rhythmen, Realitäten beschreibend, die man aber nicht sah – als „Pripo“ Kolb sprach er in Halbsätzen, die auf Verben verzichteten; als dessen Chef und Einsatzleiter der deutschen Sprache übermächtig und gegen alle Widerstände gefeit.

Nur Pan und Robert Atzlinger befanden sich auf der Bühne, auf der mehr oder weniger Nebel waberte, alle weiteren Personen entstanden nur bei intensivem Hören in der Fantasie der Zuschauer. Der „Pripo“ war früher Rinderschlitzer – in einer nahen Zukunft, in der die Ökokatastrophe dazu führt, dass für jedes Rind, das weniger Methan in die Luft ablässt, eine Prämie bezahlt wird, müssen eben noch mehr Rinder geschlachtet werden als jetzt. Sinnfällig wurde die Rinderschlachterei durch eine Dose Gulasch, die sich der einsame Redner zubereitete, aber gleichzeitig zugab, dass er keinen Gulasch mehr essen könne. Die apokalyptische Welt, die Atzlinger heraufbeschwor, wurde in seinen Monologen außer von seinem Chef auch von einer Frau im Bikini, die offenbar durchdreht, sowie seinem Halbbruder Gerald bevölkert. Aufgrund der Schnelligkeit der Perspektivwechsel, die durch nichts als durch den Sprachduktus markiert waren, war es für das Publikum recht schwierig, die Handlungen, die nur erzählt und nicht gezeigt wurden, nachzuvollziehen.

Nicht entgangen ist aber, dass der Pripo seinen Gerry, den Halbbruder, auf Geheiß seines Chefs dann abknallt: Die Bühne voller Nebel, Scheinwerferlicht von hinten, im Schattenriss der Mörder – das war ein dramaturgisches Element, das die ansonsten monotone Szenerie sehr belebte. Nur einmal stand „Pan“, die 50er-Jahre Frau auf, unterbrach ihre Tätigkeit des Schreisingens und des ab und zu wilden Schneidens der Grünpflanze. Sie rannte raus, ersetzte die Pflanze durch ein Erdbeertörtchen mit Sahne, nahm wieder ihren Platz ein und ergötzte sich an den Erdbeeren ebenso wie vorher an dem Pflanzengrün. Da war viel Sinn hinter dem Nebel, aber nicht jedem Zuschauer war es vergönnt, ihn auch zu erkennen. Der Pan in der weiblichen, sprechsingenden Version war immerhin eine Neuigkeit, wie sie die Bühne so zumindest in Potsdam noch nie erlebt hat. Lore Bardens

Lore BardensD

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