Kultur: Ringen um Worte
Der dänische Choreograf Palle Granhoj begab sich mit einer Performance in die Welt von Leonhard Cohen
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Sitzen, schauen und hören, die Worte erfahren. Darum bittet der dänische Choreograf Palle Granhoj das Publikum des Nikolaisaals am Samstagabend, bevor er in seinem rund eineinhalbstündigen Programm „Dance me to the end“ in einer mutigen und experimentierfreudigen Mischung aus Tanz, Musik und Performance die Welt des großen Melancholikers Leonard Cohen auslotet. Ein zehnköpfiges Ensemble aus Musikern und Tänzern unterstützt ihn dabei, füllt die in schwarzes Tuch gehüllte Bühne mit Bewegung und vor allem mit der Musik des jetzt beinahe 80-jährigen Ausnahmemusikers.
„Dance me to the end“ steht am Anfang und wird auch am Ende der Aufführung noch einmal choreografiert. Dazwischen behält der kreative Prozess, behalten die Worte die Oberhand. Worte sind in Cohens Biografie schon sehr früh von großer Bedeutung, hat er sich doch eine Karriere als Schriftsteller ausgeguckt. Hier auf der Bühne zeigt der Choreograf und Tänzer Palle Granhoj darum sein Ringen um Sprache, lässt sich den Kopf mit Gummibändern umspannen, die ihm scheinbar die Sprache rauben, lässt in einer anderen Szene den Songtext von „Tower of song“ auf eine papierene Leinwand projizieren und schreibt darin herum, ganz wie inmitten eines kreativen Prozesses.
Der Kopf ist das zentrale Mittel, um Worte zu produzieren, und Köpfe gibt es an diesem Abend zahlreiche auf der Bühne, Köpfe ohne Körper, die in der Dunkelheit leuchten, die der Tänzer der jungen Sängerin, die eindrucksvoll und in beeindruckendem Tempo „A thousand kisses deep“ rezitiert, unter die Füße stellt und ihr damit den Weg an den Bühnenrand bereitet. Köpfe, die plötzlich auf die Bühne rollen, Köpfe, die ein Meer bilden, das lebendig scheint und durch das sich der nackte Körper einer Tänzerin schlängelt.
Spätestens hier verlassen einige Zuschauer augenscheinlich aufgebracht den Saal. Vielleicht haben sie das Programm nicht aufmerksam genug gelesen, war ihnen nicht klar, das dass hier ein Experiment sein würde, der Versuch, die verschiedenen Arten der Sprache von Musik, Körper und Text miteinander zu verbinden. So verpassen sie die hervorragende Inszenierung von „Lover, Lover, Lover“, in der, im Schein eines Kerzenständers, aus einem Mann mit Gitarre plötzlich nach und nach acht Männer werden, die in stimmgewaltigem Chor den Liebhaber zu sich zurückrufen.
Sie hören nicht mehr die spanische Version von „Take this Waltz“, nach einem Text von Federico García Lorca, sehen nicht das lebendige Bild aus Frau und Köpfen, das zu „Here it is“ entsteht. Sie verpassen das Ringen zweier Männer um eine nackte Frau in einem hölzernen Kasten, die nur von einer Kerze beschienen ist, die ganze Szenerie eingerahmt von den Musikern und eingebettet in den Song „Light as the breeze“, in dem Leonard Cohen Religiosität und sexuelle Abhängigkeit miteinander in Verbindung bringt.
Beinahe zum Schluss gibt Palle Granhoj dann noch dem eine Stimme, für den Cohen auch textet: dem Hörer. Mit Kopfhörern in den Ohren steht er in der Bühnenmitte und singt laut und versunken „Bird on the wire“. Andrea Schneider
Andrea Schneider
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