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Kultur: Risikofreudiger Kolorist

Orgelsommer-Konzert mit Lotars Dzerins in der Erlöserkirche

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Orgelsommer-Konzert mit Lotars Dzerins in der Erlöserkirche Nun erstrahlt auch das Vestibül der Erlöserkirche wieder in neuem Glanze. Auch ein Leuchter aus kirchlichen Altbeständen ist renoviert und taucht das Kirchenentree in ein mildes Licht. Die Besucher des Internationalen Orgelsommers können sich als Erste von den denkmalpflegerischen Resultaten überzeugen. Doch wie viele Orgelsommer werden noch ins Land gehen, bis das Innere des Gotteshaus in Gänze wieder glänzt? Noch hat der Staub auf der Orgelempore seine historischen Spuren hinterlassen. Eine Patina gewissermaßen, die dem Klang der Schuke-Orgel durchaus förderlich ist. Der Organist des jüngsten Orgelsommer-Abends, Lotars Dzerins aus dem lettischen Liepaja/Libau, weiß sie zu nutzen. In seiner Heimatstadt sitze er an der größten Orgel der Welt, wird vorher verkündet. Sie verfüge über 131 Register und 7800 Pfeifen - sehr beachtlich. Doch meines Wissens steht die weltgrößte Kirchenorgel in Passau. Wer hat hier wem einen Bären aufgebunden? Wie dem auch sei: der lettische Organist versteht es, selbst einer vergleichsweise klein geratenen „Königin“ die ihr geziemende Reverenz zu erweisen. Mit einem Paukenschlag beginnt die Audienz. Über dem Fundament eines gleichbleibenden Basses erhebt sich in Bachs Passacaglia und Fuge c-Moll BWV 582 gleichsam ein klangprächtiger Palast, den Lotars Dzerins auf einen schnarrenden, 16-füßigen Subbass gründet. Monumentalen Größe, die schier unerschütterlich scheint. Die Fassaden stattet er reich mit figurativem Zierrat aus. Konturenklar und gleichmäßig im Metrum zeigen sich die Veränderungen, eine überaus fesselnde Architekturerkundung. Plötzlich lockt eine weiche Flötenstimme, die der Fuge die Tür öffnet. Eilend und verspielt tändelt sie vorüber, nicht ohne mit einem handkussgleich hingeworfenen neapolitanischen Sextakkord die Szene zu verlassen. In drei Bach-Chorälen zeigt Lotars Dzerins vor, wie unterschiedlich dessen Choralvorspiele sein können. Eine Variante von „Nun komm der Heiden Heiland“ (BWV 659) führt die Melodie im verzierten Cantus firmus vor (Pachelbel-Verfahren), während das Präludium „Komm, Gott, Schöpfer, heiliger Geist“ BWV 667 tänzerisch beschwingt, arabeskenreich und damit in der koloristischen, einer blühenden Schlingpflanze nicht unähnlichen Manier Georg Böhms erscheint. Kaum weniger flötengrazil registriert und pointiert gespielt, breitet sich die Canzone G-Dur von Joh. Jakob Frohberger (1616-1667) aus. Dagegen zeigt sich Felix Mendelssohn Bartholdys Sonate A-Dur op. 65 Nr. 3 von eher orchestral empfundener Statur. Dzerins spielt sie bachnah, fast durchgängig im Forte. Im Kontrast dazu tönt das kurze Andante tranquillo, einem Lied ohne Worte sehr verwandt. Nach soviel Ohrenschmeicheleien geht es nun dissonanzenreicher zu. In gedeckten Farben erklingt das introvertierte und intervallaparte „Ave Maria“ der Lettin Maija Einfelde (geb. 1939), das sich toccatische Dimensionen gewinnt. Ebenfalls aus dem Jahre 1985 stammen die „Pastorales pour une flute d''ete“ des Letten Imants Zemzaris (geb. 1951). In jedem der sechs Teile sorgt ein „liegender“ Orgelpunkt von jeweils unterschiedlicher Frequenz für einen enervierenden Bordunklanges. Kleinfüßige Register wie Quinte und Sifflöte erzeugen schrille Diskantlagen; mit scharfen Mixturen lässt sich lustvoll experimentieren. Schwebungslieblich, intim und ätherisch enden die pastoralen Ausflüge. Ihnen folgen fast abrupt „Freudenausbrüche einer Seele angesichts der Herrlichkeit Christi, die die ihre ist“ von Olivier Messiaen (1908-1992), der sich erneut bei diesem Orgelsommer mit seinen ungewöhnlichen Klängen zu Wort meldet. Grelle Principalakkorde gleichen unentwegt einschlagenden Blitzen. Wie muss das Naturschauspiel erst auf der größten Orgel der Welt, mag sie nun in Passau oder Libau stehen, klingen?! Peter Buske

Peter Buske

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