Kultur: Roboterhorde
Neue Ausstellung im Kunstverein
Stand:
Im Brandenburgischen Kunstverein wurde bunt geflaggt. Wie ein Mobile baumeln eng beschriebene Druckseiten in Rot, Grün und Blau von der nüchternen Decke aus Beton. Inmitten dieses schwebenden Szenarios ziehen auf einer podestartigen Plattform seltsame, leise vor sich hin brummelnde Miniroboter unbeholfen ihre Kreise. Anfangs erinnert die makellose, weiß spiegelnde Aktionsfläche noch an eine frisch gezogene Eislaufbahn. Später, im Laufe des Eröffnungsabends zur Doppelausstellung „Horde“, ergibt sich ein anderes Bild: an die Stelle des insektenhaften Gewusels der motorangetriebenen Vehikel tritt Lethargie. Wo der Akku erschöpft ist, verharrt die funkgesteuerte Mobilität in Bewegungslosigkeit. Manche der scheinbar ziellos über die Plattform kreiselnden Roboter haben sich wie die Lemminge in den Abgrund gestürzt. Andere drehen mit letzter Kraft unermüdlich ihre Kreise.
„Absurdes Theater“ nennt der Schöpfer dieser eigenartigen Spezies dieses Schauspiel. Was Karl Heinz Jeron dazu antreibt, eine solche Inszenierung zu kreieren, ist die Faszination an einem Thema, das den Künstler schon seit Jahren fest im Griff hat. Man könnte es mit der ständig wachsenden Informationsflut in der medialen Gesellschaft vielleicht am besten übersetzen. In immer neuen Variationen hat Jeron – in jahrelanger Liaison mit dem Medienkünstler Joachim Blank – vorgeführt, wie sich dieses uferlose Informationsangebot quasi verselbstständigt. Auch in der Potsdamer Inszenierung „Horde“, hat Karl Heinz Jeron dem Problem der Informations- und Datenflut erneut eine Bühne bereitet. Seine kaum handtellergroßen, mit Lautsprecher ausgestatteten Roboter übernehmen dabei die Rolle, den Datenwust akkustisch und motorisch zu inszenieren und ein Bild des Chaos zu transportieren. Aber worin besteht der Clou des Ganzen, das eigentliche Experiment?
An dieser Stelle kommt das Konzept des Ausstellungsprojekts ins Spiel, gemeint als Kooperation zwischen einem Künstler und einem Wissenschaftler. Es geht darum, im Fokus auf ein gemeinsames Thema den sich naturgemäß voneinander unterscheidenden Blickwinkel möglichst konkret zu veranschaulichen. Auf der Suche nach einem geeigneten Partner, der das Problem Datenüberfluss zu lösen vermag, ist der Künstler Karl Heinz Jeron via Internet auf den am Hasso-Plattner-Institut arbeitenden Wirtschaftsinformatiker und promovierten Wirtschaftswissenschaftler Dominik Kuropka gestoßen. Obwohl die beiden vorher nie etwas voneinander gehört hatten, sprang der Funke sehr schnell vom Künstler auf den Wissenschaftler über. Auf die Frage Jerons, wie man aus der Flut an Informationen eine Ordnung etabliert, hat Kuropka, seines Zeichens Spezialist für die computergestützte Suche und Filterung von Informationen, mit der Entwicklung eines adäquaten Vektorraum-Modells reagiert. Bei dieser Methode wird der Informationsgehalt zuvor ausgewählter Dokumente so extrahiert und ausgewertet, dass er sich im Ergebnis räumlich exakt darstellen lässt.
Für die Analyse braucht es zunächst ein Ausgangsmaterial. Im Dialog miteinander legten sich Jeron und Kuropka auf Texte mit dem häufigen Begriffsvorkommen „Dokumente“, „Information“ und Desinformation“ fest. In einem nächsten Schritt klonte Karl Heinz Jeron mit Hilfe eines Markov-Text-Generators das Wortmaterial und generierte auf diese Weise einen Text-Output. Nach erfolgter Umwandlung mit Hilfe einer Sprach-Software in Audiodaten hat er diese schließlich per Funk an seine „sprachfähigen“ Roboter übertragen.
Wer sich auf das zugegeben nicht ganz leicht zu verstehende Konstrukt des Künstlers Jeron und die optisch nicht minder reizvoll aufbereitete Strategie seines wissenschaftlichen Gegenspielers Kuropka einlässt, für den gibt es in dem zum Vektorraum-Modell umfunktionierten Ausstellungsraum samt Robotermikrokosmos einiges zu entdecken. Eine insgesamt geglückte Allianz zwischen Kunst und Wissenschaft, die in Bezug auf die beiden noch folgenden Projekte der Ausstellungstrilogie „Art + Science: Modell und Imagination“ hohe Erwartungen weckt.
Almut Andreae
Geöffnet bis 20. Mai, Di-So 12-18 Uhr
Almut Andreae
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