Kultur: Rolle rückwärts oder Ein Berg von einem Mann Christoph Ransmayr las aus „Der fliegende Berg“
Auf der proppevollen Galerie der Druckerei Rüss lauschten rund 160 Zuhörer der Lesung aus Christoph Ransmayrs gerade erschienenem Roman „Der fliegende Berg“. Carsten Wist sprach gar von „einem kleinen Wunder“ angesichts des großen Zuspruchs.
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Auf der proppevollen Galerie der Druckerei Rüss lauschten rund 160 Zuhörer der Lesung aus Christoph Ransmayrs gerade erschienenem Roman „Der fliegende Berg“. Carsten Wist sprach gar von „einem kleinen Wunder“ angesichts des großen Zuspruchs. Ransmayr befindet sich zur Zeit auf großer Lesereise durch deutschsprachige Lande. Begleitet wurde der österreichische Autor in Potsdam von seiner Landsmännin Sigrid Löffler. Die Literaturkritikerin brachte die Zuhörer in Stimmung. Eine „Brudergeschichte“, eine „Kain-und-Abel-Variante“, eine Liebesgeschichte und einen Bergroman, aber „keinen Bergsteigerroman“ nannte sie den Roman, der „biografische Realität gegen mythische Fiktion“ setze und „Welten in der Möglichkeitsform“ beschreibe.
Christoph Ransmayr ist ein ziemlich erfolgreicher Schriftsteller. Besonders seine beiden letzten Romane „Morbus Kitahar“ und „Die letzte Welt“ fanden sehr positive Resonanz. Schon die Gestalt des Autors wirkt imposant, der Zweiundfünfzigjährige ist ein Hüne in Jeans und schwarzem Hemd mit graumelierter Mähne, Schnauzbart, blaublitzenden Augen, Adlernase und gesunder Gesichtsfarbe. Wahrlich kein blasser Bücherwurm, sondern ein Berg von einem Mann – den Wanderer und Weltenbummler nimmt man ihm sofort ab.
Mitte der neunziger Jahre hat er gemeinsam mit seinem Freund Reinhold Messner die wilde Bergregion Kham im Osten Tibets rund 1000 Kilometer entfernt von Lhasa erkundet, die gerade als Touristenziel entdeckt wird. Erfahrungen und Erlebnisse dieser Wanderungen in eisigen Höhenregionen verbindet er mit einer dramatischen Brudergeschichte, die den Tod des einen zur Folge hat und an die Nanga-Parbat-Tragödie der Messner-Brüder erinnert. Wie im Roman beginnt die Lesung mit diesen dramatischen Anfangsszenen. Christoph Ransmayr liest in rhythmischem Singsang, beschleunigt und reduziert, setzt Crescendi und Pausen, deklamiert auch mal, raunt gelegentlich und gestikuliert wie ein Schauspieler. Wenn es im Text heißt „ich wollte diesen Sänger umarmen“, streckt er beide Arme weit nach vorn, bei, „er ballte die Fäuste“ tut er dies auch selbst, bei „er streckte die Hände hoch“ streckt er seine Handflächen den Zuhörern entgegen – kurz, er liest wie ein Märchenerzähler, der die Zuhörer in seinen Bann ziehen will.
Das Buch dient ihm nur, wie er sagt, als „Arbeitsunterlage“, als „Leseerleichterung“. Christoph Ransmayr versucht die Rolle rückwärts aus unserer Schriftkultur in die viel ältere und weit verbreitete schriftlose Form. Insofern passte er eigentlich nicht in die Druckerei Rüss. Doch ein richtiger Erzähler, der auswendig redet, ist er auch nicht. Die Zeit der mündlichen Überlieferung ist in unserer Kultur nun einmal vorbei.
Dass seine Erzählung mit den ehrwürdigen Epen von einst kaum etwas zu tun hat, ist Ransmayr durchaus bewusst. Mit dem Begriff „Versepos“, den einige Kritiker angesichts des gebrochenen Zeilensatzes seines neuen Romans verwendeten, will er nichts zu tun haben. Doch die schöne Pose, die erhabene Wirkung solch einer freien Versform, die möchte er nicht missen.
Angesichts des ziemlich trivialen Inhalts der vorgetragenen Abschnitte scheint es, als ob die Form mehr zählt als die Aussage. Am faszinierendsten geraten die Landschaftsbeschreibungen, die Massenszene am St. Patrick“s Day wirkt wie gefilmt, Menschen wirken kühl und leidenschaftslos skizziert.
„Der fliegende Berg" ist ein Mix aus Mythen und Moritaten, gehobene Abenteuer- und Reiseliteratur für geschäftige, kulturbeflissene Städter.
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