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Von Peter Buske: Romantisches Multikulti

Kleines und großes Sinfoniekonzert mit Dvoraks „Neuer Welt“-Sinfonie im Nikolaisaal

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Die Klassik-Kids lieben ihn, den schlaksigen, nie um flotte Sprüche verlegenen Moderator Stephan Holzapfel, der ihnen schwere Kost spielend leicht nahe bringt. Ohne pädagogischen Zeigefinger, dafür mit fantasieanregendem Einfühlungsvermögen – da schlagen nicht nur Kinderherzen höher. Wie beim jüngsten Projekt der ambitionierten Reihe „das kleine sinfoniekonzert“, die am Samstag der erwartungsfrohen Schar im Nikolaisaal verhieß: „Auf nach Amerika!“ Sozusagen auf den Spuren von Antonin Dvorak, der für drei Jahre in New York lebte, dort seine 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt“ schrieb.

Ein Abenteuer war es für den Komponisten – für Holzapfel nicht weniger, der sich zur Musik, in Ausschnitten gespielt vom Brandenburgischen Staatsorchester unter Howard Griffiths, für seine Werkeinführung der besonderen Art eine passende Story ausgedacht hatte. Er personifiziert Motive und Instrumente: Hörner für die Abenteurer, Querflöte für den schlafenden, dann erwachenden tatendurstigen Sohn. Was würde die sich um ihn sorgende Mutter dazu sagen? Witzige Kinderantworten greift Holzapfel auf, baut sie in seinen originellen Handlungsfaden ein. Dann spielt das Staatsorchester längere Passagen, die vom Moderator kommentiert und pantomimisch verdeutlicht werden. Satz für Satz erfährt so eine überraschende Auslegung: das Englischhorn-Solo im Largo drücke heimliches Heimweh des Abenteurers aus, der dritte Satz führe in eine Abenteurerschule und beim vierten sollen die Kinder verraten, was sie beim Erklingen empfunden haben. Die Begegnung mit einem hungrigen Hai, lautet eine Erklärung; eine mit der Mannschaft kämpfende Kapitänin, eine andere. Im Finale winkte den Kindern die Aufnahme in den „Club der besten Abenteurer der Welt“.

Die Erwachsenen müssen dagegen bis zum Abend warten, damit ihnen das 7. Sinfoniekonzert, das romantischem Multikulti huldigt, die Klänge „Aus der neuen Welt“ komplett liefert. Unter anderem, denn zunächst warten Griffiths und das Staatsorchester mit der klanglichen Begegnung eines weitgehend vergessenen britischen Komponisten auf: Josef Holbrooke (1878-1958). Dessen Orchesterpoem „Ulalume“ erweist sich durchaus als deutsche Romantik – durch die englische Brille gesehen. Es gibt ein impressionistisch schillerndes, von ahnungsvollen Eintrübungen und dramatischen Zuspitzungen erfülltes Zwielicht zu hören, in das der Tonsetzer ein seelendüsteres Gedicht von Edgar Allan Poe gehüllt hat. Die Musiker breiten die Rarität mit geradezu kriminalistischem Spürsinn und allem klanglichen Raffinement aus.

Nicht gerade häufig wird auch Robert Schumanns Violoncellokonzert a-Moll gespielt, da es nach einem Solisten verlangt, der sich gänzlich uneigennützig in den Dienst des singenden, sinfonisch geprägten Zwiegesprächs einzubringen versteht. Mit dem ausdrucksstarken, zu großer Klanggeste fähigen Gefühlsmusiker Leonard Elschenbroich steht er zur Verfügung, der auch körperlich hemmungslos in der Musik aufgeht. Sozusagen ein Rolando Villazón der Saiten. Sein vortreffliches Gofriller-Instrument behandelt er dabei wie eine Geliebte: zärtlich umfassend, saitenliebkosend, auf sie hörend. Gemeinsam spielt man Poesie, die, sehr zu ihrem Vorteil, ein wenig rational geprägt wird. Mit Lagenwechseln, Legatolinien und anderen höchst anspruchsvollen Spieltechniken kommt er perfekt zurecht. In übermütiger, klangschlank gehaltener Spiellaune endet das Konzertstück.

Dann die Krönung des Abends: Antonins Dvoraks 9. Sinfonie e-Moll „Aus der neuen Welt“. Faszinierend, wie die Musiker geradezu gnadenlos zwischen Impulsivität und Präzision, Lockerheit und Intensität wechseln. Beeindruckend, wie in dieser Lesart zwei Kulturen aufeinander prallen. Schließlich geht es um andere „Beträge“, als im Kinderkonzert erläutert. Spannend auch die konsequente Austragung von Konflikten und dynamischen Kontrasten, wobei die Musiker nicht vor grellen Zuspitzungen zur Ausdruckssteigerung zurückschrecken. Jegliche interpretatorische Routine ist wie weggefegt. Selbst die berühmte Largomelodie des Englischhorns, von Takahiro Watanabe mit berührender Innigkeit geblasen, erklingt blitzblank. So endet der Abend wie der Nachmittag begann: atemberaubend.

Peter Buske

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