Kultur: Runderneuerung
Howard Griffiths Antrittskonzert im Nikolaisaal
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Bei Antrittsvisiten sind die Erwartungen an den zu Begutachtenden natürlich besonders groß. Vermag er ihnen zu entsprechen? Macht er, sinnbildlich gesprochen, dabei eine gute Figur? Verfügt er über Charme und Charisma? Und so war der Nikolaisaal rappelvoll, als es galt, Howard Griffiths, den neuen Chefdirigenten des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt, beim ersten Sinfoniekonzert der diesjährigen Saison im Musentempel in Augenschein zu nehmen und zu begutachten.
Um es vorwegzunehmen: er kam, sah sich gefeiert und siegte auf der ganzen Linie. Wer das Staatsorchester über die Jahre hinweg erlebte, stellte überrascht fest: durch den Neuen weht frischer Wind vom Podium. Wohin die Reise mit ihm gehen wird? Zu mehr Leichtigkeit, Lockerheit und Transparenz.
Zum Auftakt der klanglichen Runderneuerung lagen die Noten der Orchestervariationen über ein Thema von Paganini op. 26 von Boris Blacher (1903-1975) auf den Pulten. Dem Autor geht ja mitunter der Ruf voraus, ein wenig akademisch komponiert zu haben. Griffiths strafte das Vorurteil Lügen. Nachdem das Thema der berühmten 24. Caprice vom Konzertmeister Juri Toschmakow angestimmt worden war, ein kurzes Orchestertutti gleich einer Rakete empor zischte, eröffnete die Klarinette (Christian Krech) mit klangschön geblasenen Läufen den Reigen von 16 Verwandlungen, in die weitere Bläser wie Flöte (Robert Hausdorf) und Oboe (Ruth Pfundstein-Langes) mit längeren Einfügungen sowie die Streicher einfielen. Keck und elegisch, dann wieder skurril ging es dabei zu. Jazziges gefiel genauso wie synkopierte Vergnüglichkeiten und manches Laszive aus der (Noten-)Bar à la Gershwin und Prokofjew. Die Skala der virtuosen Veränderungen wurde auf geradezu kammermusikalische Weise ausgereizt.
Erstaunlich schlank und hell getönt klang das Orchester auch bei der Begleitung des in Ufa geborenen, an der Musikschule in Tscheljabinsk und dann in Lübeck weiter ausgebildeten Solisten Denis Goldfeld, der den Solopart von Niccolo Paganinis 2. Violinkonzert h-Moll op. 7 „La Campanella“ brillant in Ton und Technik spielte.
Sein unprätentiöses Auftreten und seine geradezu fingerbrecherische Saitenakrobatik mit ihren Flicflacs, Doppelgriffen, Flageoletts, Springbogenattacken und Trillerketten nahmen sehr für ihn ein. Ein wahrer Teufelskerl, der in den Ecksätzen kess und kapriziös auftrumpfte und das Duettieren mit dem klangprägnanten Glockenspiel sichtlich genoss. Doch auch sehnsuchtsvolles Adagio-Singen geriet ihm voller spielerischer Noblesse und Leichtigkeit. Mit einer elegischen Paganini-Caprice dankte er dem anhaltenden Beifall.
Dass Griffiths zu jenen Dirigenten gehört, die mit knappen und präzisen Gesten ihre Absichten übermitteln, wurde bei der abschließend erklingenden 2. Sinfonie C-Dur von Robert Schumann erneut deutlich. Sie hörte sich an, als sei ihr vom Dirigenten eine strenge Klangdiät verordnet worden. Die nötigen Zutaten: sparsamer Vibratogebrauch, leichter Bogenstrich. Bei aller gefühlvollen Intensität, ausdrucksvollen Schlichtheit und klangsinnlichen Geschmeidigkeit: plötzlich wurden Feinheiten hörbar, die bei anderen Dirigenten oftmals im klangsüffigen Notenmeer untergehen.
Nach dem Konzert erwies er sich beim Publikumsgespräch im Foyer mit Nikolaisaal-Chefin Andrea Palent als charmanter, lockerer Plauderer. Auf weitere Griffiths’sche Offenbarungen darf man gespannt sein. Peter Buske
Peter Buske
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