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Kultur: Runter mit den Jogginghosen

Mit „Ladies Night“ feiert am Freitag im Gasometer ein Stück über strippende Arbeitslose Premiere

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Es ist die Sache mit dem Ausziehen. Die fällt ihm diesmal gar nicht leicht, sagt Eddie Irle. Das klingt vielleicht ein wenig irre, schließlich ist er es als Schauspieler gewohnt, nackt auf der Bühne zu stehen. Aber in der aktuellen Sommerproduktion des Hans Otto Theaters geht es nicht ums Nacktsein. Es geht um den Akt des Ausziehens selbst. In „Ladies Night“, das am Freitag Premiere hat, geht es ums Strippen. Nicht ums professionelle Strippen, das im besten Fall tatsächlich sexy aussieht. Sondern um das Ausziehen derer, die es eigentlich nicht können. Es geht um die Hemmungen, all die Peinlichkeiten, die Scham, die damit so leicht verbunden ist. Nichts soll hier sexy aussehen.

Deshalb stehen Irle und seine beiden Kollegen Holger Bülow und René Schwittay in augeleierten Jogginghosen – ja, genau die mit der durchgehenden Knopfleiste – auf der Bühne. In speckigen Westen und abgeschubberten Karohemden. Schieben die nicht vorhandenen Bierbäuche nach vorne, ein bisschen schlaff in den Knien. Vielleicht ist das der Punkt: Sie müssen sich öffentlich schämen. Bei der ersten Anprobe mit den String-Tangas war es deshalb ein bisschen wie in der Sportumkleide bei unter 13-Jährigen. „So etwas tragen wir ja alle sonst nicht, klar guckt man da, wie das bei den anderen sitzt“, sagt Irle. Das Phänomen, mit sehr wenig am Leib oft viel furchbarer auszusehen als komplett nackt, ist ja nicht neu. Blankziehen am Ende also als Erlösung?

Die Geschichte werden die meisten übrigens kennen, geschrieben haben sie 1987 die beiden neuseeländischen Autoren Anthony McCarten und Stephen Sinclair, bekannt wurde das Stück vor allem durch Peter Cattaneos Verfilmung „Ganz oder gar nicht“ von 1997. Aktuell ist es bis heute: Dave (Eddie Irle), Barry (René Schwittay) und Norman (Holger Bülow) haben ihren Job verloren, Dave hat zu allem Überfluss auch noch Wettschulden und einen kleinen Sohn. Keine prekäre Bohème, die sich mit wichtig klingenden Projekten über Wasser hält, sondern schlicht und einfach Arbeitslose. Sie müssen also wirklich dringend an etwas Kohle kommen, die Gläubiger hämmern schon an Daves Tür und es ist klar, dass mit denen nicht zu spaßen ist.

Und dann ist es ja auch nicht nur das schnöde Geld, das fehlt, vom Arbeitsmarkt aussortiert und vom Leben auch sonst gebeutelt fehlt es den Dreien auch an Selbstvertrauen. Am Glauben an die eigene Männlichkeit. An den ureigenen Wert als Mensch. Als dann auch noch eine Männer-Strip-Show in der Stadt Station macht und vielleicht nicht gerade die Herzen, aber feuchten Träume der Frauen erobert, ist die Stimmung am Nullpunkt – und von da kann es bekanntlich nur noch aufwärts gehen. Die Stripper öffnen ihnen die Augen: Nackte Haut gegen Geld, sonst immer nur Frauen als so vermeintlich einfacher wie erniedrigender Weg vorbehalten, das funktioniert also auch für Männer. Schon allein für diesen emanzipatorischen Impetus kann man „Ladies Night“ schätzen.

Das Ausziehen hat hier weniger mit dem Spaß zu tun, den man anderen damit bereitet, sondern mit der nackten Not, die manchmal dahintersteckt. „Es geht nicht einfach nur um ein paar lustige Arbeitslose, die am Ende strippen und scheitern“, sagt Regisseur Andreas Rehschuh. Ihn interessiert eher, wie groß die Not eines Menschen sein muss, um etwas zu tun, wofür er eigentlich nicht geboren ist. Er will nach der Würde fragen, in diesem Spiel aus Selbsterhalt und Selbsvermarktung.

Genau für dieses Gesellschaftsbild aber, das das Ausziehen, den Körper zu Markte tragen, als Selbsterniedrigung begreift, kann man „Ladies Night“ natürlich auch antiemanzipatorisch kritisieren. Weil dieses Grundverständnis natürlich allen, die es tun, ein wenig die Würde und Selbstbestimmung abspricht, ganz gleich, ob sie es aus Not, freiwillig oder sogar gerne tun.

Und auch Dave, Barry und Norman balancieren auf diesem Grat zwischen Peinlichkeit und Selbstbehauptung. Den Kampf mit sich selbst etwa ficht Barry, als Dave ihn mit einem Strip-Magazin in seiner Wohnung zurücklässt. Zuerst sitzt er tatsächlich da wie ein 13-Jähriger mit einem Pornoheftchen – irritiert und neugierig zugleich. Wie ein 13-Jähriger überspielt er die eigene Unsicherheit mit ordentlich männlicher Musik. Mit laut und hart hat man schließlich noch jede Situation gemeistert, ein bisschen den Metal-Zeigefinger – halb Drohung, halb Potenzgeste – schadet auch nie. Bis er dann beim vorsichtigen Weiterblättern im Heft auf eine Pose stößt, die ihm gefällt. Und ganz langsam fängt er an, sich zu bewegen, ein paar unbeholfene Tanzschritte und dann möglichst schnell runter mit der Jogginghose. Das ist natürlich ziemlich lustig, genauso wie Holger Bülows schlicht gestrickter aber bauernschlauer Norman: linkisch, nicht sehr helle und schon gar nicht begehrenswert. Was die drei hier entblößen, ist nicht so sehr der eigene Körper. Ums Entblößen – machen sie es wirklich oder nicht – geht es am Ende weder fürs Publikum noch für die Schauspieler. Die müssen den Fokus auf alle nur denkbaren unvorteilhaften Stellen legen. Weil genau die es sind, die man bei anderen am liebsten sehen möchte. Eigentlich, sagt Schwittay, bräuchten sie eine Sonderzulage fürs Strippen. Geld für Haut, das ist natürlich nur ein Scherz, trotzdem ist er damit bei der Brisanz des Stücks. Und prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse kennen Künstler wie er schließlich auch.

„Ladies Night“ hat am Freitag, 20. Juni um 21 Uhr im Gasometer an der Schiffbauergasse Premiere. Weitere Termine sind der 21., 22., 27. und 29 Juni.

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