zum Hauptinhalt

Von Dirk Becker: Sag auf Wiedersehen, weißer Mann

Peter Scholl-Latour stellt sein neues Buch vor – Ein Abgesang auf die westliche Vormachtstellung

Stand:

Die Bestätigung seiner These wird Peter Scholl-Latour nicht mehr erleben. Da ist er sich sicher. Und auch was die Gültigkeit seiner Aussage betrifft, dass die Vorherrschaft des „weißen Mannes“, die Epoche westlicher Vormacht in naher Zukunft endgültig der Vergangenheit zuzurechnen sei, besteht für ihn kaum Diskussionsbedarf. Wenn Peter Scholl-Latour, mittlerweile im 85. Lebensjahr, spricht, dann spricht eine Institution was das politische Weltgeschehen angeht. Wer Scholl-Latour kennt, ob nun aus seinen Reportagen, seinen Fernsehkommentaren oder aus seinen Büchern, weiß, dass er ein Mann der klaren Worte ist. Scholl-Latour hat schon viel auf dieser Welt erlebt und hat sie immer wieder bereist wie kaum ein anderer. Und was er dann sagt, sind für ihn, ganz nüchtern, nur eine realistische Einschätzung der Gegebenheiten und logische Schlussfolgerungen daraus. Manche seiner Wahrheiten schluckt man dann so gerne wie einen dicken Kieselstein.

„Doch schon die kommende Generation wird sich mit der schmerzlichen Anpassung an eine inferiore Rolle im globalen Kräftespiel, an geschwundenes Prestige abfinden müssen und mit dem tragischen Fatum leben, dass den weißen Herren von gestern das sachte Abgleiten in Resignation und Bedeutungslosigkeit bevorsteht“, schreibt Peter Scholl-Latour im Präludium seines jüngstes Buches „Die Angst des weißen Mannes. Ein Abgesang“. Am morgigen Mittwoch ist Peter Scholl-Latour auf Einladung des Waschhaus e.V., des Brandenburgischen Literaturbüros und des Literaturladens Wist zu Gast in Potsdam, um über sein neues Buch zu sprechen.

Vor genau zwei Jahren war Peter Scholl-Latour zum letzten Mal in Potsdam und hatte im Hans Otto Theater über seine „Erlebte Weltgeschichte“ gesprochen. Damals hatte Scholl-Latour sein Buch „Zwischen den Fronten“ im Gepäck, eine Art Rückschau auf die 60 Jahre, in denen er die Welt bereist hatte. Immer dorthin, wo es köchelte oder schon brannte. Immer dorthin, wo es zu Überwerfungen kam, die das weitere politische und gesellschaftliche Weltklima beeinflussen würden. Dieser Abend im HOT war ein Erlebnis, denn mit Peter Scholl-Latour war ein Journalist und Beobachter der aussterbenden Art zu erleben, der stundenlang mit klarer Sprache und nachvollziehbaren Erklärungen über das oft so undurchschaubare Thema Weltpolitik referierte.

Nun kommt Scholl-Latour mit einem Buch, dessen Inhalt eine Vorschau ist. Eine Vorschau im rhetorischen Kleid eines Abgesangs. Wie schon nicht mehr anders vorstellbar, ist Scholl-Latour auch für „Die Angst des weißen Mannes“ in den vergangenen Monaten wieder durch die Welt gereist und hat in Ost-Timor und auf Bali, in der Inselwelt der Pazifik und auf den Philippinen, in China, Kasachstan und Kirgistan Erfahrungen gesammelt, die ihm zeigten, „dass die dominante Ära das weißen Mannes, der sich um 1900 die ganze Welt untertan gemacht hatte, ihren Endpunkt erreicht hat“.

Peter Scholl-Latour holt in „Die Angst des weißen Mannes“ weit aus, setzt sich mit dem nicht ganz unproblematischen Begriff „weißer Mann“ auseinander, beschreibt den Beginn der Kolonisation durch die westliche Welt ab dem 16. Jahrhundert und die weitreichenden Folgen in den betroffenen Gebieten bis heute. Er verweist auf den Makedonierkönig Alexander den Großen, das römische Weltreich und deren prägende Einflüsse nicht nur, aber vor allem auf die europäische Kultur. Und er fragt, welche Hinterlassenschaft die weißen Männer durch die ab 1500 begonnene Kolonisation „der Nachwelt auferlegten“.

Scholl-Latours Bilanz fällt nicht gerade vielversprechend aus. Zwar hat vor allem das Britische Empire in der ganzen Welt die prägendsten Spuren und Einflüsse hinterlassen. Doch allen Missionierungsversuchen zum Trotz, die ehemaligen Kolonialvölker haben sich ihrer ursprünglichen Traditionen, ihrer Herkunft erinnert, daraus ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, mit dem sie sich nun nicht nur vom Einfluss des „weißen Mannes“ lösen. „Dem weißen Mann ist ja nicht nur das Monopol industrieller und militärischer Überlegenheit abhanden gekommen. Ihm fehlen heute vor allem das Sendungsbewusstsein, die Lust am Abenteuer sowie die Bereitschaft zur Selbstaufopferung, auf die sich sein imperialer Anspruch gründete.“ Bei den ehemaligen Kolonialvölkern aber ist dies nun der Fall.

Es sind solche Schlussfolgerungen, die oft wie ein Fallbeil wirken und gleichzeitig äußerst streitbar sind. Aber gerade in einem Streitgespräch liegen die Stärken dieses Autors. Und mit einem Moderator, der sich auf dieses Wagnis bei Peter Scholl-Latour einlässt und versucht, sich an ihm die Zähne auszubeißen, ist ein Abend garantiert, der viel mehr sein kann als nur eine Buchvorstellung mit anschließendem Gespräch.

Peter Scholl-Latour liest am morgigen Mittwoch, 20 Uhr, Waschhaus Arena, Schiffbauergasse, aus „Die Angst des weißen Mannes – Ein Abgesang“. Der Eintritt an der Abendkasse kostet 16 Euro

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })