
© Manfred Thomas
Theater an der Schiffbauergasse: Sag, kennst du den Weg?
„Die große Reise“ im Lichterlabyrinth des Theaters Anu in der Schiffbauergasse ist am Samstag zu sehen.
Stand:
Fast hätten allein die Lichter gereicht. Diese Kerzenscheinketten auf der Wiese, deren Labyrinthform wie eine Abschottung wirkt. Im Grunde nur Teelichter in weißen Papiertüten auf dem Boden. Doch wer diesen an Kornkreise erinnernden Lichtbereich betritt, begibt sich in eine andere Sphäre. Das Faszinierendste daran: Obwohl drumherum alles Bekannte bleibt, keine Vorhänge oder anderes Distanz schafft, verändert sich die Welt, die Wahrnehmung ganz stark. Es ist eine große Reise im Kleinen, auf die man sich noch am heutigen Samstag in der Schiffbauergasse begeben kann.
Mit 3500 Teelichtern in weißen Papiertüten schafft das Theater Anu den Rahmen für die Installation „Die große Reise“. Ein Lichtspektakel, das nur in der Dunkelheit zu erleben ist. Ein Irrgartenspiel von bezaubernder Einfachheit und Schönheit, das am Donnerstagabend Potsdam-Premiere hatte. Das Theater Anu, das mit etwa 30 freischaffenden Künstlern zusammenarbeitet, hat von Potsdam für das dreitägiges Gastspiel 5000 Euro erhalten. Seit über zehn Jahren erforschen die Künstler in ihren Inszenierungen poetische Theaterformen im öffentlichen Raum. Ihre „Große Reise“ haben sie mittlerweile seit sieben Jahren im Programm. Es ist die Lebensreise, die das Theater Anu einen hier für drei Stunden in der Nacht im Kleinformat durchschreiten lässt. Ein Spaziergang wie eine Meditation, eine Selbstreflexion über die Wege, die man bisher gegangen ist, und über das, was noch vor einem liegt. Dazu das Erinnern von Träumen und Wünschen, Vorstellungen und Lebensentwürfen, gleichzeitig aber auch das Eingestehen von Scheitern und vielleicht sogar vom Aufgeben früherer Ideale durch die Anpassung im Alltäglichen. All das und noch so viel mehr kann „Die große Reise“ sein. Wenn man sich darauf einlässt.
Wer sich auf diesen märchenhaft-verzaubernden Spaziergang begeben will, sollte sich langsam dem Lichterlabyrinth nähern. Vielleicht vom Hans Otto Theater kommenden den Uferweg entlang, wo sich dann neben den Gebäuden der „fabrik“ die ersten Teelichter zeigen. Um Punkt 22 Uhr öffnet der Narr die Tür in den Lichtergarten. Wer kann, sollte früher kommen und sich auf die beruhigende Wirkung des Kerzenlabyrinths einlassen. Er wird merken, wie im nahen Umkreis alles ruhiger zu werden scheint, die Stadtgeräusche wie gedämpft wirken und er wird Frauen in weißen Kleidern entdecken, die wie Feen- oder Elfengestalten schemenhaft über die noch menschenleeren Wege tanzen und eilen. Und wenn er dann den Narr rufen und singen hört, sollte er zum Eingang gehen. Aber langsam bitte. Eile hat hier nichts zu suchen.
Es ist das bekannt-verspielte Wandertheatermotiv, das dem Theater Anu als Eingang zu seiner großen Reise dient. Eine Bühne, die sich wie ein Schrank öffnet. Auf dem Dach sitzt der Narr, singt, erzählt Geschichten, flachst mit den Wartenden und gewährt dann den Eintritt: „Es ist der ewge Weg, den jeder Wanderer geht, den jeder Lebensreisende beschreitet: Für eine Nacht liegt er hier ausgebreitet.“ Und wie in so vielen Märchen, wo sich eine ganz fantastische Welt durch einen Schritt in den Kleiderschrank öffnet, betritt man so auch hier das Labyrinth.
Gleich dahinter wartet ein etwas seltsamer Kerl. Vor sich hinbrabbelnd und mit scheuen Gesten beobachtet er jeden Eintretenden skeptisch. Auch wenn er etwas grantig wirkt, er ist ein feiner Kerl. Manchem Reisenden drückt er einen alten Koffer in die Hand und es ist faszinierend zu beobachten, wie brav sie diesen mit sich tragen. Denn das gehört auch zum Spiel auf dieser großen Reise, nicht allein nur den Lichtern zu folgen und bei den Schauspielern und Tänzern an den acht Stationen zu verweilen, sondern auch die anderen Besucher auf ihrem abendlichen Weg zu beobachten.
So folgt man dann langsam und still beglückt den teelichternen Pfaden, lässt sich die Geschichte vom Königssohn erzählen, der nicht erwachsen werden wollte, beobachtet eine verspielte Tänzerin bei ihren vergeblichen Versuchen zu fliegen und begegnet dem unverzagten Lampenträumer, der einen immer wieder nach dem Weg fragt. Dem Weg nach dem Land, in dem Menschen und Vögel in tiefer Freundschaft verbunden sind. Kurze Episoden, die wie in einer Endlosschleife immer wieder erzählt werden. Und je länger man den Lichterpfaden folgt, stehen bleibt und verweilt und auch einmal vom regulären Weg abweicht, umso dankbarer ist man für diese Zeit in diesem Labyrinth, das in seiner Konzeption von Dunkelheit und Licht, dem Spiel von Sichtbarem und Verborgenem ja ein sprechendes Bild für jedes Leben ist.
Leise Musik ist zu hören, selten nur die Stimmen der Besucher und vom Eingang her begrüßt der Narr die nächsten Gäste. Man selbst steht am Rand, genießt die vielen, so feinen Anspielungen und denkt für einen kurzen Moment, dass allein die Lichter schon den Besuch gelohnt hätten.
Wieder am heutigen Samstag von 22 bis 1 Uhr in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro
Dirk Becker
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