Kultur: Saitenspiele
Al Di Meola & Band begeistern im Nikolaisaal
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Al Di Meola hat ein Problem. Es ist die menschliche Anatomie. Wir haben leider nur zwei Hände und können nur jeweils eine Gitarre auf einmal spielen. Doch oft genug ist das, was gerade im Kopf des 52-jährigen Ausnahmegitarristen entsteht und was seine Hände fast schon explosionsartig auf dem Griffbrett umsetzen wollen, einfach zu viel für nur sechs Saiten. Spielt Al Di Meola Gitarre, muss es in ihm kochen und brodeln. Man sieht ihm das nicht an. So wie er am Dienstagabend im Nikolaisaal auf der Bühne steht, die Gitarre am Gurt, ist nur selten Veränderung in seiner Mimik zu erkennen. Mal schließt er die Augen, mal lächelt er kurz und nur selten lässt er sich dazu hinreißen, im verzehrt jaulenden Gitarrenton den Oberkörper in feinster Rockerpose nach hinten zu werfen. Nur seine linke Hand, die ständig wie eine Spinne auf heißer Herdplatte über das Griffbrett jagt, zeigt, dass in ihm etwas am Toben ist. Und natürlich die Musik, die Al Di Meola gut zwei Stunden lang in den gut besuchten Nikolaisaal treibt.
Mit dem aktuellen Album „Consequence of Chaos“ sind Al Di Meola und seine vier Musiker auf Europatournee. Es ist die 21. Soloeinspielung, daneben gibt es ungezählte Aufnahmen mit anderen Musikern. Zu der wohl bekanntesten gehört „Friday night in San Francisco“, die er 1981 zusammen mit John McLaughlin und Paco de Lucia einspielte. Al Di Meolas Musik zu beschreiben, würde heißen, ihn zu beschränken. Jazz, Rock, Fusion, Flamenco, die Aufzählung könnte man beliebig fortsetzen. Sie wäre richtig, gleichzeitig aber auch falsch. Denn wenn der Meister zur Gitarre greift, fließen all diese Stile im Di Meola-Kosmos zusammen, in dem es permanent zum Urknall kommt.
Seinem Problem der menschlichen Anatomie begegnet der Amerikaner Al Di Meola auf zwei Wegen. Er spielt im Nikolaisaal seine Gitarren durch allerlei Effektgeräte, dass sich schon nach kurzer Zeit das Gefühl einstellt, hinter dem schwarzen Vorhang spielt noch ein zweiter Gitarrist. Und Al Di Meola tourt immer wieder mit neuen Musikern. Mit ihnen findet er doch noch in der schon mehrmals auf den Kopf gestellten Musikwelt neue Ideen, die er dann nur mühsam auf dem Griffbrett zügeln kann. So baut er an diesem Abend von regelrechten Klangkathedralen bis hin zur kleine Hütte, wobei Schlichtheit hier nie der Baumeister ist, alles, was mit dem Instrument Gitarre möglich ist. Er liefert sich ein herrliches Duell mit dem Percussionisten Gumbi Ortiz und zeigt, dass man nach Jahren des Touralltags sich selbst und auch das Publikum noch überraschen kann.
Nach der Pause kehrt Al Di Meola allein auf die Bühne zurück und huldigt mit der Flamencogitarre seinem Freund und Vorbild Astor Piazzolla. In diesen Minuten entstehen die seltenen Momente, in denen Begeisterung in fast atemloser Stille greifbar wird. Al Di Meola spielt nur eine einzige Gitarre und zeigt: Probleme haben manchmal auch ihre guten Seiten.
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