Kultur: Saufen und Humanismus
Nostalgie mit Vicky Vomit im Lindenpark
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Nostalgie mit Vicky Vomit im Lindenpark Es war leer am Freitagabend im Lindenpark. Vor der Bühne traute sich niemand, das Publikum saß oder stand am Rand. Viele der Gäste waren schon weit über die 30 und trugen T-Shirts mit Vicky Vomit“s Parole „Arbeitslos und Spaß dabei“ aus den Neunzigern. Die „Buckweedz“ begannen als Vorband mit solidem Punkrock und viel Körpereinsatz das Konzert. In der Umbaupause machte der „Master of Hellfire“ mit Slapstick und einer angedeuteten, sehr amüsanten Feuershow seinem Namen alle Ehre. Der zweite Pausenakt, der „Flotte Totte“ alias Fred Timm aus Köln, sorgte mit seinen Liedern über die Leidenschaft für Türen und einen erfolgreichen Stuhlgang dann wenigstens für einige Lacher. Als dann Vicky Vomit mit seiner Begleitung, den Misanthropischen Jazzschatullen, die Bühne betrat, brach noch immer kein Jubel aus, nur vereinzelter Applaus war zu hören. Vicky Vomit nahm es gelassen und begann mit gleichgültigen Zügen seinen Bass zu zupfen. Mit wechselnder Begleitung wie „The Sisters of Jelzin“ oder „The Power of Parkplatz“ zieht Vicky Vomit seit Anfang der Neunziger durch das Land. Sein Stilmix aus Rock, Blues, Punk und Ska machte ihn vom Geheimtipp schnell zum Kult. 1994 erschien sein erstes Album „Ein erster Schritt“, dem bis heute zehn weitere und zahlreiche Singles folgten. Ähnlich der Band Knorkator, setzt er ein großes Repertoire an Fäkalwörtern ein, um seinem Unmut über Popstars und Politiker Luft zu machen. Sein Motto „Saufen und Humanismus“ zieht sich wie ein roter Faden durch seine Lieder: Ein entspanntes Leben durch strikte Arbeitsverweigerung knüpft er an die Forderung nach mehr Gerechtigkeit. Es blieb am Freitagabend aber auch genug Platz für die Lieder mit trivialen Texten wie „Anna Anabolika“, in dem die Liebe zu einer sehr männlichen Frau, die „Dank“ Anabolika mehr als nur viele Haare bekommen hat, beschrieben wird. Für Überraschungen sorgten die Misanthropischen Jazzschatullen vor allem mit ihren gekonnten Sprüngen durch die verschiedenen Musikstile. Und Vicky Vomit zeigte sich als begnadeter Multiinstrumentalist: mal am Bass, dann an der Gitarre, aber auch gern am Schlagzeug und dem Saxophon. Trotz tanzbarer Rhythmen blieb das Publikum ruhig. Vielleicht war es mehr die Nostalgie einer „Arbeitslos und Spaß dabei“-Zeit, die das Publikum an diesem Abend angezogen hatte. Vicky Vomit und die Misanthropischen Jazzschatullen wollten keine große Kunst liefern, aber ein unterhaltsamer Abend war es allemal. Phillip Rothmann
Phillip Rothmann
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