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Kultur: „Schaden an meiner Kirchenkasse“ Die Episode eines Potsdamer Theologengezänks

Kirchengeschichte ist immer interessant, selbst wenn sie etwas „umständlich“ daherkommen sollte, wie kürzlich in der „arche“. Der Architekt Norbert Blumert rekonstruierte anhand von Akten aus dem Staatsarchiv Dahlem eine lehrreiche Episode Potsdamer Theologengezänks zwischen dem reformierten Pfarrer Wentzelmann und seinem Lutheranischen Gegenspieler, Inspektor Lieberkühn, 1755-56 in der Heiliggeistkirche.

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Kirchengeschichte ist immer interessant, selbst wenn sie etwas „umständlich“ daherkommen sollte, wie kürzlich in der „arche“. Der Architekt Norbert Blumert rekonstruierte anhand von Akten aus dem Staatsarchiv Dahlem eine lehrreiche Episode Potsdamer Theologengezänks zwischen dem reformierten Pfarrer Wentzelmann und seinem Lutheranischen Gegenspieler, Inspektor Lieberkühn, 1755-56 in der Heiliggeistkirche. Friedrich Wilhelm I. stiftete sie 1725 im Rahmen der ersten (barocken) Stadterweiterung mit dem ausdrücklichen Wunsch, dass die zerstrittenen Fraktionen unter einem Dach und an nur „einem Tisch“ (Altar) zurechtkommen müssten. Wie die Garnisonkirche für Uniformen, so war dieser Bau als Simultankirche für Zivilisten gedacht. Zeitgleich mit der Dresdener Frauenkirche begonnen, errichtete sie Pierre de Gayette in nur einem Jahr. Am 10. November 1726 wurde sie mit zwei getrennten Festgottesdiensten eingeweiht. In einem umfänglichen „Reglement“ verfügte der Soldatenkönig alle Abläufe vom Beichtgeld über die Benutzung der Abendmahl-Geräte bis zur Anzahl der „Gesänge“ Höchstselbst. Wichtigster Punkt im Reglement: „Friede und Einigkeit soll gehalten werden“.

Doch vom Vater auf den Sohn hatte sich vieles geändert. Zwar hielt sich die vom „Edikt zu Potsdam“ überkommene konfessionelle Vielfalt auch weiterhin – dem Calvinistischen Herrscherhaus stand eine Lutheranische Mehrheit des „Fußvolkes“ gegenüber, die Reformierten waren in der Minderheit, indes der Einfluss des Pietismus (es wäre schön, wenn man noch in diesem Jahr des 300. Todestages ihres Begründers Spener gedächte) wuchs. Aber Fridericus war eher ein Freigeist. Nachdem er die 20-seitige Eingabe von Wentzelmann gelesen, schickte er das wortreiche Pamphlet auf dem Dienstweg an Presbyterium und Magistrat (zuständig für städtische Kirchenfragen) retour. Es handelte nicht von konfessionellen Feinheiten, sondern vom Neid. Auch „bei Kirchens“ hört der Spaß beim Gelde auf: Nachdem sich der dienstältere Wentzelmann vergeblich bei den subordinierten Stellen über die „Neuerungen“ seines Widersachers beklagte, weil dieser „unterhalb des Kirchturms“ bestattete, ihm aber die entsprechenden Anteile an den „Kirchenleichgeldern“ verweigerte und, potztausend! sogar die vom Magistrat gesammelten Gelder „vors Kerzenlicht“ für sich zurückhielt, suchte er auf postalischem Wege eben „Zuflucht zu Seiner Majestät“. Begründung: „Schaden an meiner Kirchenkasse“, auch werde das Publico durch den üblen Gestank (Bestattungen innerhalb von Kirchen gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts) beim Gottesdienst „gekränckt“. Der vom Judentum konvertierte Lieberkühn reagierte auf die „ehrenrührige Beschuldigung“ mit einer zehnseitigen Defension. Doch der aufgeklärte Fridericus intervenierte nicht. Stadt und Kirchenleitung sollten entscheiden.

Hier befand man, beide seien als „nicht ganz unschuldig zu erachten“, man solle die Sache mit Lieberkühns Nachfolger, Johann Gottlieb Hirte, bereinigen. So geschah es. Nachdem alles den Umständen gemäß („umständlich“) aufgerechnet, die „auswärtigen Leichen“ anderer Gemeinden namentlich gemacht und die Unkosten abgezogen, zahlte Hirte jenem 32 Taler aus. Wenigstens in Sachen Heiliggeistkirche war der Frieden wiederhergestellt. Wie es Lieberkühn – übel beleumundet – zusammen mit von Decker im Militärwaisenhaus hielt, Wentzelmann aber lange vergeblich um das Nutzungsrecht der Nowaweser Kirche für seine reformierten böhmischen Schafe rang, steht auf einem anderen Blatt. Man müsste viel mehr über hiesige Kirchengeschichte referieren.

Für weiterführende Auskünfte stand die exzellente Kennerin Potsdamer Namen und Stadtgeschichte, Hannelore Lehmann, zur Verfügung, auch der letzte Pfarrer von Heiliggeist, Beuchel, war zugegen. Fortsetzung erwünscht.

Gerold Paul

Gerold Paul

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