Kultur: Scharfe Sterne: „Hätte. Wäre. Könnte“
Zwischen Frühsport und heimlichem Konsum vom Menschenfernsehen erscheint das Leben als „Grauzoner“ wenig verführerisch. Auf halber Strecke zwischen Himmel und Erde – ein bisschen Mensch und noch immer nicht Engel – strebt Luisa nach Höherem und ist dabei ganz und gar von dem Wunsch beseelt, endlich Engel zu werden.
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Zwischen Frühsport und heimlichem Konsum vom Menschenfernsehen erscheint das Leben als „Grauzoner“ wenig verführerisch. Auf halber Strecke zwischen Himmel und Erde – ein bisschen Mensch und noch immer nicht Engel – strebt Luisa nach Höherem und ist dabei ganz und gar von dem Wunsch beseelt, endlich Engel zu werden. Doch in der Grauzone ist man nicht zimperlich: Auch Engelanwärter müssen sich einer geharnischten Prüfung unterziehen, bei der es darum geht, Aufgabe, Funktion und Bedeutung des menschlichen Gewissens anhand von drei Beispielen für Schuldgefühle und Gewissensbisse auf die Schliche zu kommen.
Die Grauzonerin Luisa (alias Nebel) nimmt die Herausforderung an und lässt sich verbotenerweise zu den Menschen herab. Hier bekommt sie es mit Frustessern, Talkshoweskapaden und Eifersüchteleien zu tun. Als Luisa erkennt, dass es eine direkte Verbindung zwischen menschlichen Schuldgefühlen, Gewissensqualen und ihrer Freundin gibt, die unerlöst in der Grauzone festhängt, mischt sie sich ein. Zum Schluss wird Luisa ausgerechnet wegen ihres Ungehorsams und ihrer Unangepasstheit schnell und unbürokratisch zum Engel befördert!
Eine fröhlich-freche Botschaft, mit der die jugendlichen Besucher die neueste Produktion „Hätte. Wäre. Könnte“ der Jugendtheatertruppe „Scharfe Sterne“, zur Premiere im T-Werk begrüßten. 60 Minuten waren wie im Fluge vergangen, in denen die acht 15- und 16-jährigen Darsteller in der dynamischen Inszenierung von Yasmina Ouakidi mit großer Verve zum Ausdruck gebracht hatten, was nicht nur ihre jugendlichen Herzen mitunter bewegt. Das Stück über Schuldgefühle und Gewissensbisse ist ausgehend von den eigenen Erfahrungen der jugendlichen Akteure auf der Basis freier Improvisation im Laufe mehrerer Monate entstanden. Den dramaturgischen Bogen und textlichen Feinschliff hat Yasmina Ouakidi dieser Produktion von Jugendlichen für Jugendliche sehr einfühlsam verliehen.
Mit viel Humor, Sprachwitz, mitreißenden Wortgefechten, einer temporeichen Choreographie aus fetzigen Musikeinspielungen und gekonnten Szenenwechseln ist die Truppe dem nicht eben leicht zu packenden Thema zu Leibe gerückt. Herausgekommen ist ein Stück, das ohne anzuklagen und zu moralisieren Gründe für vorübergehende Verfehlungen und seelische Verstrickungen offen legt und dafür auch Verständnis schafft. Die über dem Erdenleben schwebende Grauzone beschreibt eine Durchgangsstation, in der Erkenntnisprozesse in einem Schwebezustand verweilen und schlägt damit die Brücke zum eigenen Gewissen. Eine klug austarierte Mischung aus sensibel gespielten Passagen und schrillen Szenen wie die der Talkshow-Parodie frei nach dem Motto „Werde Deutschlands größtes Charakterschwein“ entkrampft die Brisanz des übergeordneten Themas.
Alles in allem eine pralle Stückentwicklung in jugendlichem Klartext rund um Schuldgefühle und Gewissensbisse, bei der keine Chance verspielt wird, sich angestaute Last einfach mal von der Seele zu lachen. Begeisterter Premierenapplaus für die „Scharfen Sterne“.Almut Andreae
Weitere Vorstellungen: 26. und 27. September
Almut Andreae
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