Kultur: Schatten werfen – nicht sein
Zum Tag des Kriminalitätsopfers: „Die Wortlose“ im Lindenpark
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Renate sammelt Wortfrösche. Millionen von kleinen, unsichtbaren Fröschen umringen sie, immer neue kommen dazu. Die Sammlung ist ihr persönlicher Triumph: über das Schweigen, das der Ehemann ihr eine gefühlte Ewigkeit lang eingeredet hat. Weil sie ein Nichts sei und daher auch nichts zu sagen habe. Lange hat sie das geglaubt, aber jetzt sprudeln ihr die Wortfrösche aus dem Mund, jeder Frosch ein Satz, der nicht heruntergeschluckt wird, ein Schritt aus der Unsichtbarkeit. Denn wer nicht spricht, existiert nicht.
Renate, dargestellt von Susann Kloß, ist in Wilfried Happels gleichnamigem Stück „Die Wortlose“ – die aber keine mehr sein will. Am Donnerstag wurde es anlässlich des „Tages des Kriminalitätsopfers“ im Lindenpark aufgeführt. Darin geht es um das Herausbrechen aus dem Schweigen über Gewalt in den eigenen vier Wänden. Um den Versuch einer Frau, für sich selbst eine Daseinsform zu finden, die nicht allein auf das Wohl ihres Mannes zugeschnitten ist. „Ich bin das Ding, das den Schatten wirft!“ lautet einer der schönsten, schmerzlichsten Sätze. Wie zur Bestätigung geht Renate, als sie ihn herausstößt, zu einem Scheinwerfer und knippst ihn an. Endlich will sie gesehen, wahrgenommen werden. Doch weil sie die Aufmerksamkeit, nach der sie sich sehnt, nicht gewöhnt ist, schaltet sie es wieder aus. Kauert sich auf dem Sofa zusammen und weint.
Im Wechsel von Renates Stimmungen liegt die Spannung und Kraft des nur 50–minütigen Solostücks: Die Renate von Susann Kloß ist nicht endgültig einzuordnen. Zum Glück. Immer wieder schwankt sie von Verzweiflung zu Hoffnung, auch Albernheit. Wenn die Erinnerungen zu schmerzhaft werden, versucht Renate, sich mit einem hypnotischen Singsang aus Poesiealbumstagen zur Ruhe zu zwingen: „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heit“ren Stunden nur, mach es wie die Sonnenuhr...“. Sie ist eine Träumerin, die ihrer Jugendliebe mit Reinald, ihrem jetzigen Mann, noch immer nachschwärmt, zugleich eine Ehe–und Hausfrau, die ihre Aufgaben gut erfüllen will, eine Frau am Rande des Wahnsinns, die sich nach Normalität sehnt. Zuletzt eine Mörderin. Als solche wird sie am Ende triumphieren, während die „Königin der Nacht“ aus den Lautsprechern ihr Siegerlied schmettert. Ein Triumph der Verzweiflung.
So differenziert wie die Darstellung der Renate sind auch die Spielarten der Gewalt, von der sie uns erzählt. Wer bei einem Stück zu häuslicher Gewalt „nur“ an blaue Flecken denkt, erfährt hier, dass Schläge nur eine, die gröbste Facette von Missbrauch sind. Neben sexueller Ausbeutung muss Renate vor allem die Quälerei mit Worten, die verbale Eniedrigung aushalten. „Du bist eine Null. Du bist ein Nichts. Du bist strummdum“. Das sind die Sätze, die immer wieder aufkommen, gegen die Renate ständig ankämpfen muss. Künstlerische Überhöhung?
Wohl kaum, wie sich in der Diskussion im Anschluss an die Vorstellung zeigte. Die Veranstalter – die Opferhilfe Land Brandenburg und die Friedrich–Ebert–Stiftung – luden dazu Vertreterinnen aus Opferhilfe, Politik und Polizei zum Gespräch. Die dabei zutage tretenden Zahlen zeigten, wie dringlich und aktuell das Stück auch für Brandenburg ist. Rund 25 Prozent von 10000 kürzlich befragten Frauen haben schon einmal häusliche Gewalt erlebt.
Für die Zusammenarbeit der Organisationen gab es erfreulich viel Lob von allen Seiten. Schwer wiegt dagegen ein Problem, vor dem die Mitarbeiter ratlos sind. Wie bringt man jemanden dazu, eine (einstmals) geliebte Person anzuzeigen? Darauf weiß auch „Die Wortlose“ keine Antwort. Aber sie zeigt, dass Sprache der Anfang ist.
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