Kultur: Schätze hinter Glas
Ein Besuch des Fontane-Archivs im neuen Domizil gewährt ungewöhnliche Einblicke in die Geschichte des Hauses
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Eines blieb verwehrt: Der Blick aufs Original. Die Handschrift des Meisters hätte man doch gern einmal aus der Nähe gesehen. Ein Brief, eine Seite aus einem Notizbuch hätte gereicht. Bei einem Bestand von derzeit 18 000 Blatt Originalhandschriften dürfte das eigentlich kein Problem sein. Doch der Besuch im Theodor-Fontane-Archiv endete an einer Glasscheibe, hoch wie ein Schaufenster. Dahinter Regalreihen. Ein Blick in die Schatzkammer, mehr war nicht erlaubt.
Erst Ende Oktober hat das Fontane-Archiv sein neues Domizil in der Villa-Quandt in der Weinmeisterstraße mit einem festlichen Dinner eröffnet. Nicht mit einem einfachen sondern einem Fontane-Dinner. Das neue Haus an exponierter Stelle, direkt am Pfingstberg, weckt Neugier nach einem Blick ins Innere. Die Mitarbeiter des Fontane-Archivs haben darauf reagiert. Neben Lesungen im Kaminzimmer sind das Führungen durch das geschichtsträchtige Haus. Kürzlich hat Peter Schaefer, verantwortlich für Handschriften und Sondersammlungen, zusammen mit der Urania eine kleine Gruppe von Besuchern durch die Villa geführt.
Zur Einstimmung gab es ein paar Gedichte vom Meister. Und weil Theodor Fontane (1819-1898) ein Vielschreiber war, hatte Peter Schaefer keine Probleme, dem festlichen Anlass der kommenden Weihnacht gerecht zu werden und Fontanesche Geschenktipps zu verlesen. Von fehlender Kreativität konnte keine Rede sein, denn bei ständig knappen finanziellen Mitteln wusste Fontane selbst ein profanes Geschenk wie eine Pflanzenknolle für seine „geliebte Olle“ zu etwas Besonderem zu machen. Auf die richtigen Worte kommt es an. Heiter eingestimmt ging es so auf die Runde durch das Haus. Und schnell wurde klar, wer das Fontane-Archiv besucht, kommt an der Geschichte der Villa Quandt nicht vorbei.
Im Foyer, an einem Tisch mit einem Holzmodell, erklärte Schaefer im Baukastenprinzip die Entwicklung vom Winzerhaus, in das 1833 Namensgeberin Ulrike Charlotte Augusta von Quandt einzog, hin zur heutigen Villa. Später im Besitz der Preußenkönige wurde das Haus um zwei Seitenflügel erweitert. Nach 1945 residierten die Rote Armee und der sowjetische Geheimdienst KGB in der Villa. Was sie von dem Haus übrig ließen, wurde in den vergangenen zwei Jahren aufwendig saniert. Ein Bild im Obergeschoss zeigt noch den jämmerlichen Zustand der Ruine, vor deren Abriss wohl nur das Faktum Denkmalschutz bewahrte. Doch ganz am Originalzustand haben sich die Bauherren nicht gehalten. Im Keller beließ man eine „Erinnerungsinsel“, eine robust gezimmerte Sauna für die KGB-Offiziere mit Felssteinofen und Tauchbecken mit beträchtlichen Ausmaßen. Das gute Stück fesselte die Besucher mehr als der fehlende Blick auf die Originalhandschrift. Gefachsimpelt wurde über den fehlenden Abfluss im Tauchbecken und ob das alte Wasser wohl von Häftlingen aus dem gegenüberliegenden Gefängnis mittels Eimern ausgeschöpft wurde. Doch zu solchen Spekulationen wollte sich Schaefer nicht äußern.
Er führte stolz in sein Büro, mit direktem Blick auf den Pfingstberg, wo er mit drei Kollegen Fontane-Forschung und Archivarbeit betreibt. Neben der Sammlung von Originalhandschriften, erst im November wurden die Briefe Fontanes an seinen Sohn Theo erworben, geht es auch um Sekundärliteratur und andere Publikationen. „Das Fontane-Archiv ist eine wissenschaftliche Einrichtung des Landes.
Wer über den märkischen Dichter forscht, kommt an uns nicht vorbei“, sagte Schaefer. Die halbjährlich erscheinenden „Fontane Blätter“, eine Gemeinschaftspublikation des Archivs und der Theodor-Fontane-Gesellschaft, informiert über den aktuellen Stand der Forschung. Immer sei man bemüht, den Handschriftenbestand zu erweitern, der bei einer Versteigerung Fontanes Nachlass in den 1930er Jahren im wahrsten Sinne des Wortes in alle Winde verstreut wurde. Die Urschrift des Gedichts „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“, die im Juni in Berlin versteigert wurde, ist aber leider in Privatbesitz übergegangen. 130 000 Euro hat ein Sammler geboten. Wie Peter Schaefer davon erzählt, ist deutlich zu spüren, dass ihn dieser Verlust sehr schmerzt.
Aber mal abgesehen von der Urschrift des Gedichts „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“, warum eine solche Zurückhaltung bei den übrigen Handschriften? Zu empfindlich und zu wertvoll seien diese, um sie bei einer Besichtigung als einfache Schauobjekte zu präsentieren. Schnell würde der Mitarbeiter auch überfordert sein, wenn die Neugier allzu drängend wird. Denn mancher gibt sich dann nicht nur mit dem Anschauen zufrieden, sondern will das Papier in den Händen halten. Dafür möge man doch Verständnis haben. Hat man auch nach dem Rundgang. Denn zu sehen gibt es in dem Haus genug.
Dirk Becker
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