Kultur: Schatzsuche im gefliesten Wald
Gestern hatte das Kinderstück „Isbart, das Elchhörnchen“ Premiere. Die Zuschauer wollten eine Zugabe
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Das Stück hat noch nicht begonnen und schon gibt es die ersten Beschwerden. „Müssen wir etwa die ganze Zeit stehen? Ich kann nicht mehr!“, mault einer der rund 200 Erstklässler im Foyer der Reithalle A. Die Kinder wollen hier „Isbart, das Elchhörnchen“ sehen – das erste Theaterstück der Potsdamer Schriftstellerin Christine Anlauff. Und es ist ein abenteuerlich-spaßiges geworden. Regie führte Michael Neuwirth. Den Titelhelden Isbart spielt Jenny Weichert. Isbart ist ein sprechendes Eichhorn, das keine Eichen mag und einen Motorradhelm mit Elchgeweih trägt. Und es ist Emils Freund. Obwohl Isbart Menschlinge eigentlich doof findet.
Der Junge im Foyer ist plötzlich still. Die Blicke der Kinder richten sich jetzt nach oben auf die Galerie. Emil ist da. Es geht los. Seine Eltern bringen ihn zum Zug. Emil, gespielt von Peter Wagner, muss zur Oma in die Ferien fahren. Das brave Stadtkind mit Scheitel und Westover hat dazu keine Lust. „Auf dem Dorf ist es langweilig“. Aber sein Cousin Robert (Alexander Weichbrodt) sei doch auch dort. Mit ihm könne er ja spielen, sagt die Mutter. Doch den mag Emil nicht.
Die Schauspieler des Hans Otto Theaters spielen die Bahnhofsszene punktgenau. Jenny Weichert, die auch die überbesorgte, entnervte Mutter gibt, bekommt die ersten Lacher. Sie bringt ihren Jungen noch schnell in Ordnung für Oma – spuckt aufs Taschentuch und rubbelt ihm kurz über die Wange. Der Zug fährt ein. Und die Zuschauer gehen vom Foyer ins Auditorium. Während sie sich setzen, packt Emil auf der Bühne bereits seinen Koffer aus. Erstaunlich schnell sitzen die Kinder ruhig auf ihren Plätzen. Erstaunlich auch, wie die Sechsjährigen sich mit dem spärlichen Bühnenbild in der als Schwimmbad gestalteten Reithalle zufrieden geben. Bühnenbildner Marek Hertel hat lediglich eine Pritsche zwischen zwei Umkleidespinde gestellt. Und darunter das türkis geflieste Becken mit Tarnnetzen ausgehängt: der Wald. In ihm trifft Emil das erste Mal Isbart und hier suchen die beiden den Schatz, den sein Vater dort vor Jahren versteckt hat. Dabei kommen sich Hörnchen und Mensch näher. Gemeinsam verbünden sie sich gegen den Angeber Robert.
Auch dass die Kinder auf der Bühne in Wirklichkeit erwachsene Männer sind, stört nicht. Peter Wagner und Alexander Weichbrodt spielen überzeugend Jungs. Emil bewegt sich schlacksig und unbeholfen. Weichbrodt als Robert in viel zu weiten Hiphopper-Hosen – läuft lässig breitbeinig – betont maskulin eben wie es Jungs tun, die gern schon Männer sein wollen. Am besten kommen die Slapstickeinlagen von Jenny Weichert und Peter Wagner an. Die Kinder lachen ständig. Überhaupt wird es oft laut im Zuschauerraum. Aber nicht, weil die Kinder sich langweilen, sondern weil sie mit Emil mitfiebern. „Vorsicht, da kommt Robert“, rufen sie oder: „Das ist kein Eichhörnchen, das ist ein Elchhörnchen“. Die Schauspieler reagieren nicht auf die Rufe, Interaktion mit dem Publikum ist nicht vorgesehen. Die Sechsjährigen können das nicht verstehen, sie brüllen immer lauter. Sie glauben wohl, die Schauspieler hätten sie nicht gehört. Nach der 75-minütigen Aufführung klatschen und trampeln die Kinder, rufen „Zugabe“. Und einige beschweren sich schon wieder. Es sei viel zu kurz gewesen. Juliane Wedemeyer
Juliane Wedemeyer
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