Kultur: „Scheiß auf Schiller“
Thomas Wosch albert, liest, bellt im Lindenpark
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Thomas Wosch albert, liest, bellt im Lindenpark Er wird geliebt, zweifelsohne. Thomas Wosch hat sich „Provokation“ auf seine Fahne geschrieben und diese hisst er seit einiger Zeit sehr erfolgreich in der deutschen Medienlandschaft. Bei Radio Fritz besitzt er inzwischen Narrenfreiheit. Erst stumm geschaltet, dann wieder ins Boot geholt, ist er bei seinen Sendungen („Bollmann“ und „Blue Moon“ am Donnerstag) dreist wie nie. Zuletzt maß sich Wosch, in aller Bescheidenheit, mit dem Einzigen, der ihm den Titel des Unterhaltungsgiganten streitig zu machen in der Lage ist. Kein Geringerer als Gott war der Gegner in seiner Show „Wosch versus Gott“. Obwohl ihn wahrscheinlich kein Komponist zu seiner Zunft zählen möchte, versuchte er sich auch immer wieder im Schreiben von Liedern. Songs wie „Mein Puller fliegt nach Honolulu“ und „Petermännchenfisch“ wurden zu Welthits – zumindest in der Fanwelt des selbstbetitelten Medientycoons. Das Liedgut ließ Wosch am Freitag bei seinem Auftritt im Lindenpark verstaut und präsentierte unter dem Titel „Scheiß auf Schiller – Wosch liest Wosch“ einen Querschnitt seiner literarischen Ergüsse. In Sportbekleidung joggt er auf die Bühne und sieht mit seinem Headset aus wie ein Animateur im Club-Hotel. Im Schlepptau Michi „Hinterlader“ Balzer, der an diesem Abend vornehmlich als Seiten-Vorsager agiert. „Hallo Fotzdam!“, begrüßt Wosch die Besucher und hat damit die intellektuelle Latte für den Abend festgesetzt. Es folgen Gedichte und Geschichten, die nicht für den Kaffeetisch bei den Großeltern bestimmt sind. Lustig wird es aber besonders, wenn Wosch die abgegrasten Wiesen des Pubertärhumors verlässt. So nimmt er die Gäste im Lindenpark mit auf den Jungfernflug im Airbus A380, „der sich über 4 Klima- und 6 Zeitzonen erstreckt“. Das Mitmach-Gedicht fordert vom Publikum vollen körperlichen Einsatz. Die Zuschauer wiegen sich brav in die Richtung, die Kapitän Pepschmier und Flugbegleiterin Thorsten vorgeben und schreien sich beim Absturz die Lungen wund. Leider lässt das aktuelle Konzept Woschs große Stärke missen: seine Spontanität. Selten findet er den Weg aus seinem Blätterwald, um tagesaktuelle Themen zu kommentieren oder wenigstens in einen spontanen, bellenden Dialog mit dem Nachbarshund zu treten. Nach der Pause lässt Wosch das Publikum in guter Tradition an der Ausbeute der Cateringprodukte im Backstage-Bereich Teil haben. „Man muss den Wirt schädigen, wo man kann“, grinst Wosch und wirft Käseschrippen und Schokoriegel in die Hände oder an die Köpfe der Gäste. Es folgt das (leider von der Produktionsfirma abgelehnte) Drehbuch für den weltweit ersten Frauenporno und eine intime Reportage über ein Tag im Leben des Holger Apfel. Mit knarzender Stimme imitiert er den sächsischen NPD-Chef, wie dieser im Landtag versucht, das Verbot linksdrehender Joghurts durchzubringen oder gleich das ganze Ausland zu verbieten. Der Text gehört zum Einfallsreichsten, das Wosch an diesem Abend präsentiert. Der mit pädophilen Zwei- und Eindeutigkeiten gespickte Rundgang über die Farm von Michael Jackson ist das Plumpste. Auch die Schilderung der Tsunami-Katastrophe mit den drei Protagonisten Helmut Kohl, Jürgen Drews und Sonja Zietlow ist hier nicht zitierfähig. Hoho! Ja, für viele der Besucher ist dieser grobschlächtige Humor, der sich ausnahmslos unter der Gürtellinie abspielt, wirklich lustig und so gröhlen und lachen sie sich Tränen in die Augen. Und wenn mal keiner lacht, ist ja immer noch Sidekick Michi Balzer kichernd zur Stelle. Mehrmals wird das Duo zurück auf die Bühne applaudiert, bevor Wosch sich höflich bedankt und von der Bühne joggt.
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