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Kultur: Schick im Schutt

Eröffnung der Potsdamer Grafikmesse No. 1

Stand:

Eröffnung der Potsdamer Grafikmesse No. 1 Angenommen, zur Eröffnung der ersten Potsdamer Grafikmesse am Freitag hätte ein Beobachter das Geschehen aus der lichten Höhe des morschen Gebälks der Schinkelhalle an der Schiffbauergasse betrachten können, welcher Anblick hätte sich ihm von dort geboten? Von oben betrachtet sähe man unter sich eine gepflasterte Fläche so groß wie ein Fußballfeld, deren Unebenheiten mit staubigem Schutt ausgefüllt sind. In ihrer Mitte stehen in vier Zickzack-Linien die Aufstellflächen für die 100 Grafiken der 33 Grafikkünstler. Rechts, direkt neben dem offenen Eingangstor, befindet sich ein Verpflegungs- oder zutreffender ein Gourmetstand von „in vino": Käsestangen, Wein, Antipasti und Prosecco. Dem Eingang gegenüber an der Längswand spielt eine Band gepflegte Loungemusik. An der linken Querseite steht über die gesamte Hallenbreite eine lange Verkaufstheke, auf der weitere Grafiken und Bücher ausliegen. In der hintersten Ecke die Kasse. Es handelte sich um eine Verkaufsmesse, die von der Galerie Sperl organisiert wurde. Von oben wäre der Blick frei auf die Häupter unserer Stadt. Man sähe unseren Ministerpräsidenten, unseren Oberbürgermeister und all die anderen, die in Kultur und Politik die Geschicke der Stadt führen – der geballte kulturelle Kosmos Potsdams versammelte sich in einem zugigen und trostlosen Gebäudewrack. In kleinen Grüppchen wanderte man langsam an den Stellwänden mit Siebdrucken, Lithografien und Radierungen in Bunt und Schwarzweiß vorbei. Man arbeitete sich dabei auch gesellschaftlich vorwärts. Jeder Künstler hatte drei seiner Werke aushängen dürfen. Ein neues Namensschild kennzeichnete eine neue Künstlerstation und bedeutete häufig auch die Begegnung mit neuen Bekannten, die hier schon standen. Das Gerücht, eine Grafikmesse dieser Art wäre einmalig in Deutschland, gab dem Anlass die Aura des Besonderen. Aus einer distanzierten Beobachterperspektive könnte das Geschehen bizarr wirken. Wann enden die Zeiten, in denen es in Potsdam als interessant, schick und verwegen gilt, Kunst mit einem traurigen und desolaten Umfeld in „kreative" Brechung zu bringen? Grafik, von Natur aus eher zur „Oberflächlichkeit“ gezwungen und oft zum Dekorativen neigend, dem Kunsthandwerk näher, feingliedrig und nicht im Format, sondern eher im Detail groß, hat es schwer, sich gegen diesen gesellschaftlichen und vor allem baulichen Rahmen zu behaupten. Wenigstens versprach der Oberbürgermeister in seiner Grußnote die Renovierung der Halle für „Events", Firmenpräsentationen und folgende Grafikmessen. Auch den Mangel einer Kunsthalle erwähnte er. Am besten verkrafteten noch die großformatigen geometrischen Farbsiebdrucke von Hans Hendrik Grimmling die situativen Irritationen. Für Steffen Trodler, der in seiner Druckerei in Stahnsdorf für einige der ausstellenden Künstler Siebdrucke angefertigt hat, waren gerade diese Arbeiten wegen ihrer handwerklichen Finesse besonders interessant. Bekannte Potsdamer Künstler wie Alfred Schmidt oder Christian Heinze waren auch zu finden. Schmidt, vielen bekannt durch seine Kalender mit Stadt-Motiven, kann in seinen Grafiken den reduziert-naiven Ansatz, der seine Gemälde so leicht erkennbar macht, sogar noch wohltuend konzentrieren. Die Grafikmesse deutete die vielen Facetten einer Kunstform an, deren Ausdrucksmöglichkeiten erst langsam wieder entdeckt werden müssen. Dies ist gewiss einfacher in weniger rustikalem Umfeld. Kaufentscheidungen fielen indes trotzdem leicht, was auch an den moderaten Einstiegspreisen von etwa 100 Euro lag. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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