Kultur: Schimpfen darf hier jeder mal
„Die lustige Anna“ mit dem Integrationstheater
Stand:
Unwirsch fegt der Diener mit einem kurzen Besen den Boden vor dem König und der Königin. Sie schreiten stolz hinterher. Kurz darauf steht der gleiche Diener bei einer Art Boule-Spiel hinter dem Paar. Er reicht dem König die Bälle und zischt ungeduldig: „Auf die Orange, Majestät.“ Er ist verärgert darüber, dass dieser König nie die Königin zum Zuge kommen lässt. Majestät trifft außerdem immer daneben. Soufflieren muss der Diener auch, denn dieser König kann sich nichts merken. Das stört aber überhaupt nicht. An mehreren Stellen der Komödie „Die lustige Anna“, die am Sonntagabend im Haus der Begegnung Premiere hatte, verwischten die Grenzen zwischen Stück, Regieanweisung und kleinen Umbauten.
Diese Kleinigkeiten schaffen in Axel Trögers Integrationstheater „Teufelssee“ eine weitere komische Ebene. Und die irritierte nicht, sondern machte die Vorstellung authentisch und spontan.
Diese Premiere der „Lustigen Anna“ sei auch deswegen ganz besonders spontan, weil das Stück vorher noch kein einziges Mal richtig durchgelaufen sei, sagte Regisseur Tröger. „Wir haben uns mal was getraut“, fügte er mit einem verhaltenen stolzen Lächeln hinzu, bevor das Licht in dem dicht besetzen Saal ausging. Um die fünfzig Gäste aller Altersklassen hatten sich auf den Turnhallenbänken gedrängt und schauten nun gespannt auf das junge Männergesicht mit den langen blonden Zöpfen, das zu Beginn über die Kulissen guckte, geheimnisvoll lächelnd, wie die Mona Lisa. Es war die traurige Prinzessin.
„Die lustige Anna“ handelt von einer Königstochter, die nicht mehr lachen will. Sie starrt nur noch aus dem Fenster. Die Hofnarren sind Taugenichtse und können die Prinzessin nicht aufmuntern. Doch einer erzählt von der lustigen Anna. Die Tochter des Bauern könne die Leute so zum Lachen bringen, dass sie Muskelkater bekämen. Diese Anna muss zum Hofe, bellt der König. Als der Bauer davon erfährt, schlottern ihm die Knie. Er rauft sich die Haare und fragt sich, was die Göre bloß wieder angestellt hat. Denn statt zu haken und zu jäten, hört die Anna lieber italienische Schlager, die aus ihrem tragbaren Kassettenrekorder dröhnen, und kocht Espresso. Und so nimmt das Märchen seinen Lauf. Es endet, nach einer Stunde Spielzeit, ganz klassisch und trotzdem anders als man denkt.
Axel Tröger ist es mit dieser Komödie gelungen, jeden seiner Darsteller in einer passenden Rolle zum Glänzen zu bringen. Macken gehören zu jeder Figur, machen sie sogar sympathischer. Die kleinen Makel kreativ zu nutzen statt sie zu verstecken, ist das Motto von Axel Trögers Inszenierung. Ein Rollstuhl wird zum perfekten Thron. „Hübsche Mädchen, ich heirate euch alle“, schrie der Prinz darin selbstbewusst. Und ein bisschen Frivolität hat aber noch keiner Komödie geschadet, auch nicht im Integrationstheater.
Mit liebevoll arrangierten szenischen Bildern und zwei Darstellern, die sehr gut hektische und cholerische Rollen spielen können, gelingt es Tröger, ein hohes Tempo in die Vorstellung zu bringen. Komödiantisches Talent zeigte auch der Bauer, als er wundervoll wütend den Hut vor Ärger auf den Boden schmeißt. Und laut schimpfen darf fast jeder mal: Der Bauer mit der Anna, der Prinz mit dem Koch, der Koch mit dem Küchenjungen, der Diener mit dem König. Doch gut dosiert wirkte es immer wieder lustig und befreiend. Am meisten Charme versprühte der kleinste und frechste Darsteller, kaum älter als acht Jahre, trat er mal als Gaukler, vorlaute Wache oder Obst- und Gemüsehändler auf.
Viele Ideen haben aus wenig Requisite raffinierte Details herausgeholt. So wurde zum Beispiel Sahne aus der Sprühdose zum ansehnlichen schaumigen Bier. Auch von verschüttetem Mehl ließen sich die Schauspieler nicht aus der Ruhe bringen, besser gesagt: zur Ruhe bringen. Das Stück lief durch, ohne Unterbrechungen. Eine unterhaltsame Vorstellung, ein schönes Märchen und viel zu lachen. Mehr braucht es für einen gelungenen Abend nicht. Undine Zimmer
„Die lustige Anna“ wieder am heutigen Dienstag, 19 Uhr, im Haus der Begegnung, Zum Teufelssee 30
, ine Zimmer
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