Kultur: Schleier weg
Berühmte Rossini-Messe in der Propsteikirche
Stand:
„Ist es wirklich heilige Musik, die ich da gemacht habe, oder gar eine Musik des Teufels?“, schreibt Gioacchino Rossini unter seine „Petite Messe solennelle“ als „Nachwort an den lieben Gott“. Eine „kleine feierliche Messe“ ist sie wahrlich nicht geworden, diese „letzte Todsünde meines Alters“, wie Rossini weiter in dem ironischen Postscriptum anmerkt. Neunzig Minuten dauert ihre Wiedergabe. Die Anforderungen an die Ausführenden sind dabei beträchtlich. Besonders für den Chor, der in der Kunst des A-cappella-Gesangs versiert sein muss, weil nur die wenigsten Passagen melodische und harmonische Unterstützung durch zwei Klaviere und Harmonium erfahren. Die Solisten sollten im belkantistischen Operngesang geschult sein, denn in den „Messe“-Arien geht es richtig "zur Sache".
Der Philharmonische Chor Esslingen sucht bei seinem Auftritt am Sonnabend in der Propsteikirche St. Peter und Paul diesen Ansprüchen zu entsprechen. Was erfahrungsgemäß in der nachhallreichen Akustik des Gebäudes nicht leicht ist. Deshalb haben sich die Esslinger auf den vorderen Stufen zum Altarplateau platziert, eine gute Wahl. Eine gleich gute Wahl sucht der Rezensent zu treffen, indem er sich auf die linksseitige Empore begibt. Dort oben erfasst er einen sehr homogenen Klang der einzelnen Stimmgruppen, die sich zu einem leicht verhangen wirkenden Gesamteindruck zusammenmischen.
Die „Kyrie“-Klavierbegleitung durch Chorleiterin Sabine Eberspächer (auf ein zweites Instrument wird verzichtet) und der Chorgesang wirken geradezu freundlich. Alles tönt weich (im „Christe eleison“), indifferent und irgendwie nicht fassbar. Es scheint, als seien die Stimmbänder mit Butter geschmiert. Das Harmonium (Dieter Aisenbrey) hält sich dezent zurück, wirkt durch seine Orgel- bzw. Orchesterimitation wie eine zusätzliche Klangfarbe. Im „Gloria“ vernimmt das Ohr Chorsoprane, die unforciert die Höhen meistern, und Chortenöre, die ob ihres kernigen Strahlklangs eine Freude für jeden Dirigenten sind. Ehre sei der Akustik in der Höhe!
Doch irgendetwas fehlt. Also begibt sich der Rezensent, gebührend dezent, zu all den anderen Zuhörern ins Kirchenschiff. Doch dort ist''s mit der Homogenität und der Intonationsreinheit bei den Männerstimmen nicht mehr weit her. Die Chorbässe gehen nicht nur beim „Credo“-Amen relativ robust zu Werke. Unausgeglichen, so als mangelte es einzelnen an Kondition, singt man sich durch die Noten. Es scheint, als sei plötzlich ein Schleier von der Klangszene weggezogen. Fortan entpuppt sich die Wiedergabe als sehr gradlinige und schnörkellose Wiedergabe, der es an Mediterranem, an ernsthafter Leichtigkeit und religiöser Heiterkeit mangelt. Ein Eindruck, der sich durch das zupackende Klavierspiel noch verstärkt.
Das Solistenquartett bleibt davon nicht unberührt. Evelin Novak (Sopran) führt eine ausladende, reife Stimme vor, der es in der „Crucifixus etiam pro nobis"-Arie weitgehend an Schmelz und erblühendem Glanz mangelt. Für die Altpartie ist mit Barbara Morlock eine Mezzosopranistin zugange, die mit den zu gestaltenden Empfindungen nicht allzu viel anzufangen weiß. Eindringlich singt sie das „Agnus Dei“-Solo. Mit Geschmack und Kraft, aber nicht protzend, trägt Rüdiger Knöß die tenorale Bravourarie „Domine Deus“ in nachgerade Verdischer Manrico-Manier vor. An Durchschlagskraft und Tiefe fehlt es dagegen dem Bariton Reinhold Schreyer, der dem „Quoniam tu solus Sanctus“-Bekenntnis (Denn Du allein bist der Heilige) trotz lyrischer Mittellage und leichter Höhe manches an Glaubwürdigkeit schuldig bleibt. Das „Preludio religioso“ spielt Sabine Eberspächer trockenen Anschlags kraftvoll und erhaben, akkordisch und elegisch. Dem Andachtsvollen ist sie weit weniger auf der Spur. Hätte der Rezensent vielleicht doch auf der Empore sitzen bleiben sollen?! Den Gästen aus Schwabenland dankt herzlicher Beifall.Peter Buske
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: