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Kultur: Schlicht und eindrucksvoll

Bachs „Johannes-Passion“ an der Erlöserkirche

Stand:

Während die Passionszeit an der Friedenskirche sich in literarisch-kammermusikalischer Schlichtheit als mehrteilige „Dornenzeit“ vorzeigt, gedachte man ihrer in der Erlöserkirche mit chorsinfonischem Großaufgebot – mit Johann Sebastian Bachs „Johannes-Passion“ BWV 245. Sie ist, im Gegensatz zum Passionsoratorium nach Matthäus, die strengere, konzentriertere Schilderung des Leidens und Sterbens Jesu. Von den überlieferten vier Fassungen entschied sich Dirigent Ud Joffe für die von 1724, die er mit seiner Potsdamer Kantorei und dem Neuen Kammerorchester Potsdam am Sonntag im gut besuchten Gotteshaus an der Nansenstraße aufführte. Und zwar im Sinne eines musikalischen Gottesdienstes, dem kein Beifall nachfolgen sollte, wie die Hörgemeinde vorab informiert wurde. Sie hielt sich daran, und so ging man in Stille und Nachdenklichkeit auseinander.

Was gewöhnlich zwei Stunden dauert, war unter Ud Joffes konzentrierter Auslegung bereits nach einer Stunde, fünfzig Minuten beendet. Wieso das? Er hatte sowohl das Bass-Arioso „Betrachte meine Seel“ als auch die nachfolgende Tenor-Arie „Erwäge, wie dein blutgefärbter Rücken“ ersatzlos gestrichen. Außerdem befleißigte sich der Evangelist (Daniel Sans, der für den erkrankten Johannes Kalpers eingesprungen war) in seinen Secco-Rezitativen eines flinken, natürlichem Sprachfluss folgenden Erzähltons. Seine helle Stimme fand dabei immer wieder zu feinen Klangschattierungen, die dem Sinngehalt der Worte zu prägnanter, anteilnehmender Wirkung verhalfen. Leider gerieten ihm einige Spitzentöne unsicher im Ansatz oder brachen weg. War der oratorienerfahrene Tenorlyriker unkonzentriert oder fehlte ihm nur der nötige Atemdruck?! Fand er ihn, hatte seine Stimme Sitz und Kontur – wie in den kraftvoll angestimmten und koloraturensicher absolvierten Arien eindrucksvoll zu hören war.

Ähnlich prägnant gestaltete Kai Uwe Fahnert (Bariton) den Jesus-Part fern jeglicher larmoyanter Untertöne. In klarem Redetonfall antwortete er den Fragen des Hohenpriesters und Pilatus, dabei selbstbewusst und mannhaft das auf sich nehmend, was ihm durch die Schrift verheißen. Ergreifend schlicht hörte sich an, als der Gekreuzigte seine Mutter einem seiner Jünger anvertraute; nicht weniger bewegend, Jesu lakonisch vorgetragene letzte Worte „es ist vollbracht!“ Dieses Gedrängte, In-sich-Ruhende und oftmals Karge war es denn auch, was Ud Joffe sich zur Richtschnur seiner Ausdeutung erkor. Er verstand es vorzüglich, mit Bachs Passions-Bausteinen (Erzählung, Handlung, Betrachtung, Choral) jene geistigen und geistlichen Erlebniswelten zu schaffen, die dem Hörer Anteilnahme erzeugen.

Die Solisten, zwischen Orchester und Chor platziert, suchten ihm dabei zu folgen. Allen voran Bhawani Moennsad, die mit ihrem klangvollen, instrumental geführten Alt keine Arien-Beschaulichkeit aufkommen ließ. Um einen objektiven Arienvortrag bemühte sich auch Susanne Ellen Kirchesch (Sopran), deren „freudige Schritte“ ziemlich eilend gerieten, während sich das „Zerfließe, mein Herze“ in stimmlich liebreizenden Grenzen hielt. Dem Bassisten Matthias Ehm kochten die Emotionen in den Rezitativen und Arien dagegen nur auf flackernder Sparflamme. Nicht so den Choristen der Potsdamer Kantorei, die die Choräle überaus wohlklingend, homogen und geschmeidig anstimmten. In den Turbae-Chören erwiesen sich alle Stimmgruppen als überzeugende Vorantreiber der dramatischen Geschehnisse. Weich getönt, aber leicht verhangen, erklang der Eingangschor „Herr, unser Herrscher“; pastoral, besänftigend und unsentimental der finale Abgesang „Ruht wohl“, dem ein schlichter Choral als Glaubensbekräftigung folgte. Hier wie dort fand Ud Joffe durch seine ausgewogenen Zeitmaße die rechte Muße für“s Singen und Klingen, auch wenn man das solide und sicher aufspielende Neue Kammerorchester Potsdam durchaus schon inspirierter und ausdrucksdifferenzierter erlebt hat.

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