Kultur: Schlicht und laut
Diana Ichina beim Orgelsommer
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Vor drei Jahren beendete sie ihr Klavier- und Orgelstudium am Staatlichen Konservatorium von Saratow, im vorigen Jahr schloss Diana Ichina an der St. Petersburger Universität bei Daniel Zaretsky ihren Master ab. Zurzeit ist sie als Doktorandin in Zaretskys Orgelklasse. Längst hat sie bei diversen Orgelwettbewerben Preise errungen, Meisterklassen belegt und Sommerakademien besucht. Ein zielstrebiger Weg hin zur Konzertorganistin, die sich das künstlerische Orgelspiel zu ihrer Domäne erkoren hat. Noch aber ist Diana Ichina allerdings auf der Suche nach einem eigenem künstlerischem Profil. Bei ihrem Auftritt beim Internationalen Orgelsommer am Mittwoch an der Schuke-Orgel der Erlöserkirche spürte man das deutlich. Ihr Stückeangebot glich barocker und romantischer Häppchenkost aus einem Gemischtwarenladen. Dabei bringt Diana Ichina die Altvorderen und deren Piecen fast durchgängig und ausschließlich mit durchdringenden und hellen Prinzipalstimmen in Verbindung. Eine trugschlüssige Entscheidung, denn Bach oder Buxtehude verlangen durchaus nach dem Reichtum von Klangfarben, spannender Artikulation und sinnerhellender Phrasierung.
Bereits im „Tiento“, der spanischen Bezeichnung für ein Werk vorwiegend imitierenden Charakters, von Juan Cabanilles (1644-1712) gibt Diana Ichina ihre Spiel- und Stilrichtung vor: geradlinig, schlicht und laut. Jan Pieterzoon Sweelincks (1562-1621) „Fantasia“ ist davon genauso betroffen wie Johann Sebastian Bachs Praeludium und Fuge a-Moll BWV 543, die sich auf nachgerade objektivierende Spielweise abspulen. Gestochen klare Klänge durchwehen den Kirchenraum – ohne Punkt, Komma, Gedankenstrich. Die registratorische Einfallslosigkeit ist kaum zu unterbieten. Wie erfreulich dagegen der klangliche Lichtblick mit einer Canzona des Spätrenaissancemeisters Andrea Gabrieli (1533-1583), deren filigran-liedhafte Melodie ihre passende Entsprechung in lieblichem Flötenregister findet. Und in der e-Moll-Ciacona von Dietrich Buxtehude lässt sie sich auf eine fantasievolle Interpretationsweise ein, die man passenderweise als Stylus phantasticus bezeichnet.
Dann erwacht das Interesse Diana Ichinas an reizvollen Mixturen und farbenfrohen Soloregistern. Es scheint, als lägen ihr die Klangsinnlichkeit und die schlichter gestrickten Harmonien der Franzosen besser als die kontrapunktischen Strukturen des norddeutschen Stils. In Nicolas de Grignys „Veni creator“ kommen schnarrende, spitztönige und scharf klingende Register zum Einsatz. Doch zu früh gefreut. Der Toccata-Hit aus der „Suite gothique“ von Léon Boëllmann klingt ohne süffig-ekstatischen Biss, ohne romantisches Flair und motorische Suggestion. Schade drum. Im Kontrast dazu die in sich stimmige, zungenstimmenweiche Wiedergabe von Prelude, Fugue e Variation h-Moll von Cesar Franck. Die Organistin spielt das Stück in barocker Disposition mit kammermusikalischer Finesse, weiß um die Wirkung facettenreicher Farbenspiele. Erneutes Wechselbad der Gefühle: Die belanglose Spielerei „Carillon de Westminster“ von Louis Vierne, die im reichlichen Gebrauch des Jalousieschwellers dahinwabert und in Überlautstärke ertrinkt. Und die finale Darbietung der „Passacaglia“ des Christoph Kushnarew (1890-1960)?
Das erweist sich als zunächst introvertiertes, dann an- und abschwellendes Opus neoromantischer Prägung, das schließlich nur noch undifferenziert und laut die Ohrnerven strapaziert. Peter Buske
Peter Buske
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