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Kultur: Schlomo Herzl, Hitler und Kleist
Das T-Werk lädt heute wieder zur Langen Nacht der Freien Theater in die Schiffbauergasse
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Fast möchte man von Appetithäppchen sprechen. Aber das würde dem Gezeigten nicht gerecht werden.
Hier trifft Schlomo Herzl auf den jungen Adolf Hitler, und empfiehlt dem an den Aufnahmeprüfungen der Wiener Kunstakademie Gescheiterten, doch in die Politik zu gehen. Und natürlich kommt auch das Gretchen, „die letzte Jungfrau über vierzehn in Wien“, wie jeden Samstag, um den alten Schlomo zu baden, ihn zu wärmen und ihm natürlich auch die Fußnägel zu schneiden.
Geisterhafte und leichenblasse Gestalten tanzen hier durch die Nacht, gleich einem Spiel zwischen Schönheit und Albtraum. Auch Kleist, dieser Seelenzerrissene, der am 21. November 1811 zusammen mit Henriette Vogel am Kleinen Wannsee Selbstmord beging, wird zitiert. Aus Briefen und seinem letzten Stück, dem „Prinzen von Homburg“.
Dann wird der Begriff Freiheit in seiner Vielfalt tänzerisch durchgespielt. Und es kommt der im Jahr 2008 verstorbene Schauspieler, ehemalige Intendant des Potsdamer Hans Otto Theaters und Schriftsteller Ralf-Günther Krolkiewicz zu Wort, wenn er aus der Dunkelheit und Enge, der Entmenschlichung und Stein gewordenen Hoffnungslosigkeit einer Gefängniszelle berichtet.
Das Poetenpack mit „Mein Kampf“ und das Bewegungstheater Nadi mit „Irrlichter der Nacht“, das Theater Marameo mit „Die Kleistspur“, die Oxymoron Dance Company mit „under pressure“ und das Theater 89 mit „Hafthaus“ sind nur fünf von insgesamt neun freien Theatergruppen, die im T-Werk und dem angrenzenden Schirrhof in der Schiffbauergasse die heutige Nacht zu einer langen machen wollen. Eine Nacht, die nur dem Theater gehört.
Zum mittlerweile 7. Mal lädt das T-Werk zu dieser „Langen Nacht der Freien Theater“ ein, die, so die Veranstalter, „zu einem Treffpunkt junger, innovativer Theatergruppen“ geworden ist. Unterschiedliche Spielformen des Theaters von Schauspiel, Lesung und Maskentheater bis hin zu Tanz und Feuertheater sind hier zu sehen. Kurze Stücke werden im Laufe dieses Abends präsentiert, die mal für sich stehen, dann nur Ausschnitt bleiben, die mal Rückblick und dann wieder Vorschau sind. Während das gerade am gestrigen Freitag begonnene Berliner Theatertreffen bis zum 26. Mai Zeit hat, müssen im und vor dem T-Werk sechs Stunden genügen.
Es ist eine Auswahl von freien Theatern aus Berlin und Brandenburg, die hier ein, wie es schon einmal bezeichnet wurde, mehrgängiges, theatralisches Festessen anbieten. Wobei Festessen dann doch ein wenig übertrieben scheint. Schließlich hat man sich hier bewusst auf Kostproben beschränkt, die nicht sättigen, sondern eine entsprechende Neugier wecken sollen. Und das gelingt der Langen Nacht der Freien Theater jedes Jahr aufs Neue.
Das zeigt sich an den ständig steigenden Besucherzahlen, die immer mehr für überfüllte Kurzvorstellungen im Foyer und auf der Haupt- oder Probebühne sorgen. Es herrscht da immer ein herrliches Chaos an diesem Abend, wenn die Besucher mal dorthin oder dahin strömen, die Entscheidungen schwer fallen, weil sich bestimmte Vorstellungen überschneiden. Und die ständige Unruhe, die bei den üblichen Theaterabenden nur als störend empfunden wird, gehört hier mittlerweile einfach dazu. Es herrscht ein Treiben und Hetzen, bei dem man auch schon einmal mit einem Schauspieler zusammenstoßen kann. Und so verschwimmen hier auch schnell die Grenzen, wenn bei zu vielen Gästen ein Teil auf der Bühne Platz nehmen muss. Dann ist man wirklich nah, erlebt Theater im wahrsten Sinne des Wortes. Ob das immer so angenehm ist, wenn das Gretchen dem Schlomo die Fußnägel schneidet, sei dahingestellt. Aber diese Lange Nacht der Freien Theater hat es wirklich in sich.
Die 7. Lange Nacht der Freien Theater beginnt am heutigen Samstag, 19 Uhr, im T-Werk in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 16, ermäßigt 10 und für Schüler 8 Euro. Weitere Informationen zum Programm im Internet unter:
www.t-werk.de
Dirk Becker
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