Kultur: Schmetterlinge fliegen
„No Limit“ tanzte zu „Kaddish for Terezin“
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Eben noch haben die bunt gekleideten, jungen Tänzerinnen unbeschwert miteinander geplaudert und zu fröhlich klingender Musik getanzt. Dann wird die Musik finsterer, das Licht dunkler, die Kleidung einfarbig, alle sind nun komplett schwarz oder komplett weiß gekleidet. Und im Gleichschritt marschieren sie. Die schwarzen Tänzerinnen spielen die Aufseher, sie bilden ein Spalier, durch das die unschuldigen Kinder in Weiß hindurchgehen müssen. Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Am Ende müssen sie ihre bunte Kleidung auf einen Haufen werfen. Von nun an gibt es keine Individuen mehr, die ein eigen Hab und Gut besitzen.
Im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Potsdam war am Donnerstagabend die Berliner Tanzgruppe „No Limit“ mit ihrem Stück „Schmetterlinge fliegen“ in den Treffpunkt Freizeit eingeladen worden. Es handelt vom Leben der Menschen im Ghetto Theresienstadt, das während des Zweiten Weltkriegs errichtet wurde. Von Opfern und Tätern. Allesamt verkörpert durch rund 60 junge Tänzerinnen im Alter zwischen acht und 18 Jahren.
Die Entindividualisierung steht bei diesem Tanzstück, das in Potsdam leider nur ein überschaubares Publikum sah, besonders im Vordergrund. Zwei Gruppen: schwarz oder weiß, Mitläufer und Täter, Unschuldige und Opfer.
Die Tänzerinnen verkörpern ihre Rollen trotz ihres jungen Alters sehr authentisch durch ihre ausdrucksstarke Mimik. Es sind keine großen, ausladenden Tanzschritte, die akrobatisch höchst kompliziert sind. Und trotzdem drücken die Tänzerinnen so viele Emotionen in ihren Bewegungen aus. Auch mit kleinen Schritten, mit den Händen, mit dem Gesicht. Die Bedrohlichkeit der Situation kommt beim Publikum an, nicht zuletzt dadurch, dass die Aufseher den Publikumsraum betreten und ihn einkreisen. Die vom Band abgespielte Musik, zu der getanzt wurde, ist ein Requiem für Kinder vom britischen Komponisten Ronald Senator: „Kaddish for Terezin“. Sie verstärkt die Dramatik zusätzlich durch ihre Mischung aus tragischem Operngesang, Orchester, englischem Sprechgesang, der die Geschichte des Ghettos erzählt, und einem Kinderchor.
„Auch Kinder heutzutage müssen lernen, mit einem solch erdrückenden Thema umzugehen. Ihre Emotionen können sie am besten im Tanz ausdrücken.“, sagte die Choreographin des Tanzstückes, Cirsten Behm, im Anschluss an die einstündige Aufführung. Vor allen Dingen solle das Gefühl der Ohnmacht genommen werden und Mut gemacht werden, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, so die Tanzlehrerin.
Diese Gruppe hat es auf ganz ergreifende und überwältigende Art und Weise getan, sich mit diesem Thema auseinandergesetzt – mit Bewegungen, die überzeugten.
Beim Schlussbild richten sich die zusammengekauerten Kinder im dämmrigen Licht auf und erwachsen zu einer Kerzenfigur, ihre Hände öffnen sich und plötzlich ist da eine Rosenblüte zwischen ihren Handflächen, als Symbol der Mahnung und Hoffnung. Anna-Maria Kunath
Anna-Maria Kunath
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