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Kultur: Schockierende Antworten

„Jew.de.ru“ bei den Jüdischen Filmtagen

Stand:

„Was assoziieren Sie mit dem Wort Jude?“ hat die junge Regisseurin Tanja Grinberg Passanten in der Fußgängerzone einer deutschen Stadt gefragt. Die Antworten, mit denen ihr Film „Jew.de.ru“ beginnt, schockieren gleichermaßen durch Unkenntnis, Ignoranz und die unter der Oberfläche unserer scheinbar toleranten Gesellschaft unverändert überdauernden Vorurteile. Keiner der Befragten hatte eine Antwort parat, die über Schlagwörter wie „Hitler“, „Holocaust“ und „KZ“ hinausging. Einigen fiel die Eigenschaft „geizig“ ein, andere gaben ihrem antisemitischen Hass offen Ausdruck.

Wie die Regisseurin selbst, die am Dienstagabend beim 18. Jüdischen Filmfestival Berlin-Potsdam im Filmmuseum zu Gast war, sind Ilja, Svetlana und Lena mit ihren Eltern Anfang der 90er Jahre als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland gekommen. Im Film erzählen sie über ihre antisemitischen Erlebnisse und Diskriminierung in der ehemaligen Sowjetunion, ihre schwierigen Anfänge in Deutschland, das sie im Teenager-Alter kennenlernten und über ihr heutiges Leben.

Die neue Heimat hat sie nicht mit offenen Armen empfangen. Svetlana spricht von einem Trauma, wenn sie sich an die erste Zeit in Deutschland erinnert: Ohne Freunde, ohne die deutsche Sprache zu beherrschen oder ein richtiges Zuhause. Später, in der neuen Klasse, zog sie durch ihre guten Leistungen den Neid von Mitschülern auf sich, wurde auch gemobbt. Heute studiert die junge Frau Geschichte, hat viele deutsche Freunde, fühlt sich wohl. Wie auch für Ilja, den promovierten wissenschaftlichen Assistenten an der Uni und Lena, die Schriftstellerin, gehört der jüdische Glaube zu ihrem Leben, der für die jungen Einwanderer in Deutschland ein wichtiger Teil ihrer Identität ist.

Die Idee zu diesem Film, so erzählte die Regisseurin im Gespräch mit der Journalistin Sabine Porn, hatte ursprünglich ihre Mutter. Tanja Grinberg entschloss sich dazu, nachdem sie im Fernsehen einen Film über die Shoa gesehen hatte. „Es ist gut, dass wir uns mit diesem Thema befassen“, so konstatierte sie, aber es sollte auch einen Film geben über die jungen jüdischen Menschen, die heute in Deutschland leben.

Eine Diskussion entzündete sich an der Replik eines Zuschauers, der wissen wollte, inwieweit der Film repräsentativ sei: Ob die Regisseurin bei der Umfrage in der Fußgängerzone wirklich nur auf bornierte, ungebildete und rassistische Menschen gestoßen ist, während man am Ende des Films den Eindruck bekäme, dass eigentlich alle Kontingentflüchtlinge und ihre Kinder Akademiker sind. Tanja Grinberg bekräftigte ihre filmische Sichtweise. Sie habe wirklich alle befragt, die bereit gewesen seien, mit ihr zu sprechen und hätte genau diese Antworten bekommen – und die „krassesten“ schon weggelassen. Und in ihrem Film habe sie eine typische Geschichte der jüdischen Kontingentflüchtlinge erzählen wollen. Die Familien, die gekommen sind, seien Akademikerfamilien gewesen, die Eltern würden Abitur und Studium auch von ihren Kindern erwarten.

Dass der Dokumentarfilm „Jew.de.ru“, der in die Lebens- und Erfahrungswelten einer Generation von jungen jüdischen Einwanderern blickt, dringend gebraucht wird, beweisen nicht nur die Umfrageantworten aus der Fußgängerzone, sondern auch die Reaktionen, die sie aus mehreren Fernsehredaktionen erhielt, bei denen sie ihren bis jetzt nur im Hessischen Rundfunk gelaufenen Film einreichte. „Diese Antworten haben mich zum Teil mehr schockiert als die aus der Straßenumfrage“, sagte Tanja Grinberg. „Eine Redaktion antwortete mir sogar, der Film sei enttäuschend gewesen. Denn ich hätte geschrieben, es ginge um Juden und es sei ja gar nicht um den Holocaust gegangen.“ Gabriele Zellmann

Am heutigen Donnerstag um 18 Uhr läuft innerhalb der Jüdischen Filmtage im Filmmuseum, Am Marstall 1, der Film „Jakob der Lügner“ mit Henry Hübchen, der anschließend zum Gespräch kommt

Gabriele Zellmann

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