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Kultur: Schön bissig

Der Kabarettist Christoph Sieber im Waschhaus

Stand:

Totenstille im Saal. Eben noch zitiert der Kabarettist Christoph Sieber fröhlich einen Bäcker, der neuerdings mit altem Brot seinen Backofen heizt, weil es denselben Heizwert wie Holz hat, um sich im nächsten Moment ernsthaft darüber zu echauffieren, dass hierzulande 40 Prozent aller Lebensmittel auch unabhängig vom Verfallsdatum weggeworfen werden, und sich zu fragen, welche Werte da am Hindukusch eigentlich verteidigt werden. Immer wieder versteht es dieser Mann, die mühelos heraufbeschworenen Lachsalven seines Publikums jäh abzuwürgen, mit dessen Erwartungshaltung zu spielen und die kurzzeitige Spannung dann fast beiläufig, durch humoriges Plaudern wieder zu lösen. Eine Kunst, mit der sich Christoph Sieber in der deutschen Kabarettlandschaft längst einen Namen gemacht hat und für die er auch am Freitagabend in der Waschhaus-Arena reichlich beklatscht wurde.

Nicht immer ganz taufrisch kommt Sieberts Programm „Alles ist nie genug“ daher, worin er mit scharfer Zunge die Gier und Gleichgültigkeit unserer wohlstandsverdummten Gesellschaft und die tatenlose blasse Politikerkaste geißelt. So wirken Karl-Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff schon beinah wie Oldies, wenn sie ihr Fett wegbekommen neben Uli Hoeneß, der so ehrlich Steuern hinterzogen habe wie keiner je vor ihm. Ein dankbarer Klassiker ist dagegen Angela Merkel, die sich endlich mal wieder für Politik interessieren könnte. Dank ihr sei die Republik zu einem kollektiven Wartesaal verkommen, wo das mit leeren Versprechen betäubte Volk bis zu den nächsten Wahlen vor sich hin döse. Ob uns da technische Errungenschaften wie ein unterwassertaugliches iPad weiterhelfen können, fragt Siebert und beginnt sich schon zu freuen, seine E-Mails endlich auch beim Tauchen abrufen und Fotos vom Grund seiner Badewanne auf Facebook posten zu können. Doch dann erstirbt das Gegacker im Saal, als der agile Schwabe in Jeans und Holzfällerhemd erneut die Moralkeule schwingt. Wir machen uns ein Bild von der Welt und können diesem Bild immer weniger folgen, sagt Sieber mit gesenkter Stimme. All der moderne Schnickschnack sei nichts weiter als ein Placebo, das uns genauso beruhigen und ablenken solle, wie uns die Welt der bunten Knöpfchen und Klicks vorgaukle, wir könnten etwas bestimmen. Deshalb lautet sein Rat, das Gefühl des Zorns wiederzuentdecken. Und immerhin, nach einigem Zureden tut ihm die Hälfte der rund 300 Gäste im Waschhaus auch tatsächlich den Gefallen, einen gemeinsamen Unmutsschrei auszustoßen, der sich dann aber folgenlos einreiht in Siebers bitterböse Satiren über Zoowärter im Bildungsfernsehen, die von Raffkes zuhauf gebunkerten Werbegeschenke oder das von der saufenden Jugend zurückgelassene Leergut, mit dem die Alten ihre Rente aufbessern müssten. Munter springt der Kabarettist auf seiner Themenreise zwischen Politik, Gesellschaftskritik und Alltagsgeschichten hin und her, wobei aufgrund des oftmals sehr hastigen Tempos fast zwangsläufig so manches untergeht.

Doch fehlt es Christoph Siebers Performance keinen Augenblick an Frechheit, Witz und Bissigkeit, mangelt es ihr nie an Geist und Gift. Und auch nicht an Turneinlagen. Denn ohne an Tiefgang zu verlieren, gelingt es ihm immer wieder, sein Polit-Kabarett auch mit anderen Elementen wie der Pantomime und Jonglage oder mit Hip-Hop- und Breakdance-Einlagen zu verbinden. Gekonnte lustige Hampeleien, so nötig wie ein unterwassertaugliches iPad. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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