Kultur: „Schon damals kryptisch“
In der „arche“ sprach Till Kinzel über den „Magier des Nordens“ Johann Georg Hamann
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In der „arche“ sprach Till Kinzel über den „Magier des Nordens“ Johann Georg Hamann Tiefschürfende Wenigschreiber müssen einfach damit rechnen, vieldeutig und oberflächlich ausgelegt zu werden. Erst recht, wenn sie sich kryptisch auszudrücken pflegen, wie der Denker und Schriftsteller Johann Georg Hamann (1730-1788), Freund Herders und Kants, dessen „radikale Aufklärung“ der gleichfalls in Königsberg geborene Querdenker allerdings heftigst attackierte. Als „Unzeitgemäßer, der die Wahrheit über alles stellte“, als „ein Sokrates des 18. Jahrhunderts“ gar, musste er ja eines Tages in der „arche“ Station machen. Till Kinzel, promovierter Pädagoge aus Berlin, bemühte sich also, den so scharf denkenden wie genusssüchtigen „Magier des Nordens“ und „Gegenspieler Kants“ für die Jetztzeit aufzubereiten, was nach den Jubelfeiern des Königsberger Philosophen im letzten Jahr nur billig sei. Kinzels lebhafter Vortrag bot allerdings ein Exempel, dass solche Sonderlinge immer nur „interpretierbar“ sind, und was dem Bilde zum Ganzen noch fehlt. Kinzel gab zu, es mit einem „nicht leicht zu verdauenden Brocken“ zu tun zu haben, kein Wunder, Hamann ist weder in seiner Vita noch durch die „filigrane Subtilität seiner Texte“ zu fassen. Sie sind kaum länger als dreißig Seiten, dazu mit antiken und biblischen Zitaten gespickt und in dunkler Sprache geschrieben. Der Referent vermutete, Hamann wollte seine Leser („Niemands“) so zum Lesen „anleiten“. Seine Eltern waren ausgemachte Feinde des Müßigganges, doch lernte Hamann durch „unnützen Schulfleiß“ mehrere alte und moderne Sprachen, was ihm, nach seiner London-Reise, durch Kants Vermittlung eine Stellung als Schreiber und Übersetzer an der Königsberger Zollverwaltung einbrachte. Er sollte nach väterlichem Willen Theologie studieren, probierte auch Jura aus, zuletzt steht Hamann als viel interpretierter „Büchernarr“ und Philologe da, ohne Magister. Nach dem Tod des Vaters 1768 zeugte er mit dessen Magd („mannsfeste Unschuld“) in wilder Ehe mehrere Kinder. Hegel nannte ihn achtungsvoll einen „merkwürdigen Menschen“, Kirkegaard und Jünger stellten sich zu ihm; Goethe wollte gar eine Ausgabe seiner Werke veranlassen. Was dachte ein Mann, der als Vorbereiter des „Sturm und Drang“ gilt, die Köpfe der Aufklärung als „Lügen- Schau- und Maulpropheten“ verspottete und selbst Friedrich II. ironisch den „Salomon in Preußen“ nannte? Für ihn waren die Weisen einer Nation nur „die Narren der allgemeinen Narrheit“. Klingt biblisch, ist es ja auch. Hamann („schon damals kryptisch“) bekannte nach zweimaliger Lektüre der Schrift ein „Bekehrungs-Erlebnis“, so dass er ausrief „Ich bin der Brudermörder!“ Er suchte die Offenbarung, fand sie wohl auch. Seine kleinen Werke erwecken den Eindruck, als habe er, anders als fast alle Theologen, das Wort Gottes gekannt. Dessen Wirken in der Welt verband er mit dem Wort „Herablassung“, welche nicht nur den Klugen, sondern allen gilt, außer vielleicht Shaftesbury und Voltaire. Nicht durch Logik (Kant), sondern in der Dichtung erkannte er die „Muttersprache des Menschengeschlechts“, was Herder dann fortsetzte. Mit Hume leitete er angeblich zur „Gefühls- und Glaubensphilosophie“ über. Anknüpfend an seine Frühschrift „Sokratische Denkwürdigkeiten“, befand er den Menschen zuletzt doch „unwissend und schwach“, wie jener auch. Gegen Kants abstrakte Logik setzte er die Lust der Sinne zum Erkennen: Bilder seien der „ganze Schatz menschlicher Glücksseligkeit“. Die Aufklärung hielt er lediglich für ein „Nachtlicht“, und ein „Genie ohne Genitalien“ war dem unpuritanischen Protestanten sowieso ein Rätsel. Das kündete der „Denker des Sinnlichen und Konkreten“ kryptisch auf drei, vier Seiten Papiers. Seine Ausleger brauchen 150, um ihm zu folgen – und irren dennoch: Sie halten ihn, Kinzel eingeschlossen, lediglich für einen „besseren Aufklärer“ als Kant.
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