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Am Ende klingt jedes Lachen wie das Meckern einer Hyäne. Patricia Carlucci als Ilona und Friedemann Eckert als Bastian in „Alle sechzehn Jahre im Sommer“.

©  HL Böhme

Theaterkritik: Schön, dass wir noch Träume haben

Ein bitterböses Kammerhorrorstück: „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ hatte am Freitag im Hans Otto Theater Premiere. Das Stück wirft seine Zuschauer auf die eigene Illusion namens Leben zurück.

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Am Ende, in diesem Jubeltaumel über das geglückte Elfmeterschießen der deutschen Mannschaft gegen Argentinien in jenem Sommer 2006, der in dieser Charlottenburger Wohnung nur erbärmlich klingt, zaubert das Schicksal eine weitere bitterböse Variation Leben aus seinem verbeulten Hut. Und auch wenn man an diesem Abend schon einige dieser bitterbösen Möglichkeiten erlebt hat, schon so viel Hoffnungs- und Traumporzellan auf der Bühne des Hans Otto Theaters zerschlagen wurde, trifft einen diese Erkenntnis unerwartet und hart wie ein Aufwärtshaken. Nur einer lacht sein meckerndes Hyänenlachen, der Zynismus, des Schicksals liebster Kettenhund.

„Alle sechzehn Jahre im Sommer“ hat John von Düffel seine „Trilogie des veränderten Lebens“ betitelt. Ein Theaterstück in drei Akten, dessen luftig-leichter Titel nur eine schöne Täuschung ist, nicht mehr als die Zeitangabe für die Jahre 1974, 1990 und 2006, in deren Sommer immer der Gott Fußball seine Weltmeisterschaften zelebrierte. Diese Daten kollektiver Erinnerungen dienen dem Schriftsteller und Dramatiker von Düffel lediglich als Folie für die Veränderungen im Leben von ein paar Menschen aus der Charlottenburger Wohnung. Nach drei Inszenierungen in den alten Bundesländern erlebte „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ am Freitag im Hans Otto Theater seine ostdeutsche Premiere.

Wer will, der kann „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ in der Regie von Tobias Wellemeyer als Komödie lesen. Denn Wellemeyer macht es einem leicht im ersten Akt, im Sommer 1974, wo diese Charlottenburger Wohnung noch als WG genutzt wird und der angehende Mediziner Jochen und seine Freundin Sabine, der Maler Hans-Helge und seine Freundin, die Schauspielerin Magda, Kfz-Mechaniker Carlo und seine hochschwangere Freundin Eva, das Feministentramperl Heidrun und der verklemmte Lambert fröhlich ihr Unwesen treiben. Klischeehafter lässt sich das Leben in solchen Wohngemeinschaften oder das, was man sich heute darunter vorstellt, kaum darstellen. Drogen, Unbeschwertheit, politisches Korrektheitsgefasel und wildes Liebesspiel im Hochbett über dem Küchenkabuff, Fußballleidenschaft, jugendlich-unbeschwerte Zukunftsvorstellungen, Was-kostet-die-Welt-Attitüde und Kleinbürgeranwandlungen werden hier mit brachialem Humor und ordentlicher Kalauerdichte präsentiert, dass einem schon bald das große Gähnen überkommen möchte.

Wenn man „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ nur als Komödie lesen möchte. Wer dagegen das sieht, was hier wirklich gezeigt wird, ein bitterböses Kammerhorrorstück über das Leben als einzigen Desillusionierungsprozess, der wird zahlreiche schmerzhafte Momente erleben und im besten Fall auf die eigene Illusion namens Leben zurückgeworfen werden.

Da ist die Bühne von Harald Thor, der diese Charlottenburger WG zu einer hohen, ranzigen Leere gemacht hat, von der die übrigen Zimmer, das Küchenkabuff und das Bad wie Rattenlöcher abgehen. Die Worte, die Träume, die Wünsche und Hoffnungen an das zukünftige Leben sind hier groß und blumig und noch unbeschwert. Aber, so sehen wir hier schon, solche Träume sind wie Luftballons, die, mal schneller, mal langsamer, aber fast immer zu Boden sinken, bis das Biest Zynismus ganz bequem danach schnappen kann.

Regisseur Wellemeyer legt kalt-analytisch die Schwächen und Entzauberungen im Leben dieser Menschen offen, die zum Platzen ihrer Traum- und Hoffnungsluftballons führen. In den Sommern 1974, 1990 und 2006 erleben wir sie in dieser Charlottenburger Wohnung und wie die Jahre sie und ihre Erwartungen immer kleiner werden lassen.

Da ist der Maler Hans-Helge (Wolfgang Vogler), der es 1990 zum Kunstprofessor in Karlsruhe geschafft hat, dessen Handeln aber immer noch von dieser träumerischen Unentschlossenheit geprägt ist. Sabine (Marianna Linden), damals Kunststudentin und jetzt verheiratet mit dem Arzt Jochen: eine verzweifelt-hysterische Frau, die durch den Besuch von Hans-Helge hofft, aus ihrem grauen Alltagskäfig ausbrechen zu können. Carlo (Eddie Irle), dieser Lebenskünstler, dessen Sonnenscheingemüt unerschütterlich scheint, bis er erfährt, dass seine Freundin Eva Krebs hat. Die über alles zu stehen scheinende Heidrun (Andrea Thielemann) und Jochen (Jan-Kaare-Koppe), der erfolgreiche Pathologe, der von allen scheinbar am souveränsten mit diesem verlogenen Elend Zwischenmenschlichkeit umzugehen weiß.

Es sind die Schauspieler des Hans Otto Theaters, die hier durchweg das immer morscher werdende Lügengerüst dieser Menschen offenlegen. Behutsam und erschreckend zugleich. Und es ist ihr Spiel, das über die gewissen Längen dieser Inszenierung, die gelegentliche Unentschlossenheit zwischen Komödie oder Tragödie hinwegträgt. Meisterhaft auch die Arbeit der Kostümbildnerin Tanja Hoffmann, die diese Veränderungen und Desillusionierungen fein gezeichnet in Maske und Kostüme legt.

Am Ende dann, wenn ausgerechnet der Pathologe Jochen vor dem größten Scherbenhaufen liegt, tritt das Schicksal noch einmal nach und offenbart, was da seit Jahren schon ausgerechnet zwischen dem Machoproll Carlo und unserem Feministentramperl Heidrun läuft. Es sind die Kinder von Jochen und Carlo, die vielleicht am stärksten von dieser Erkenntnis erschüttert werden. Und wenn Ilona (Patrizia Carlucci) und Bastian (Friedemann Eckert) am Bühnenrand sitzen und in diesem tiefdunklen Moment nicht die Fehler ihrer Eltern wiederholen, ist da kaum Hoffnung zu spüren. Das Schicksal steht ja schon die ganze Zeit in der Ecke, an der Kette lacht meckernd der Zynismus. Sie brauchen nur zu warten. Denn mit der Zeit platzen ja bekanntlich fast alle Träume.

Wieder am Samstag, 13. April, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse

Dirk Becker

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