Kultur: Schöne neue Arbeitswelt
Veranstaltungsreihe zur Arbeit im Filmmuseum Potsdam / Filme und Referate
Stand:
Die Arbeit geht uns aus, das wissen wir spätestens seit der Wende, als viele ehemalige DDR-Bürger einfach ihre Jobs verloren und vor ihrem „Zimmerspringbrunnen“ zuhause verzweifelten. Dass in den neuen Bundesländern die Erosion der Arbeitsgesellschaft mit größeren „Verwerfungen“ aufwartete als im Westen, betonte die ehemalige Rektorin der Fachhochschule, Helene Kleine, in ihrer Einführung zu der Themenreihe am Montagabend im Filmmuseum.
Es ist ein Verdienst des Filmmuseums, mit der von Dorett Molitor konzipierten Reihe „Work in progress. Erfinde dich selbst und neu!“ dieses Thema, das den Zusammenhalt unserer Gesellschaft immer stärker bedroht, in den Fokus des Interesses zu nehmen. Der Streifzug durch die Arbeitswelt wird umrahmt von Filmen wie Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ (1936) und „Ewig Praktikant – eine Generation in der Warteschleife“ von 2006.
Wenig anderes definiert uns so stark wie die Arbeit, unser Stand wird durch den Beruf, und seine materielle und soziale Anerkennung bestimmt. Doch immer mehr Menschen kommt dieser zweifelhafte Glücksbringer abhanden, zumal der jungen Generation, die als „Generation Praktikum“ lebenslang draußen vor der Tür zu stehen droht. Aber es könnte alles anders werden. Wolfgang Engler, Kultursoziologe und Rektor der Schauspielschule „Ernst Busch“ Berlin, sprach über den sich wie die Arbeitslosigkeit breit machenden Gedanken, ein „bedingungsloses Bürgergeld“ einzuführen, das jedem Bundesbürger zustehen würde. Es ging ihm dabei nicht um die Finanzierung dieser revolutionären Idee, die hauptsächlich vom Besitzer der DM-Drogeriekette Gört Werner propagiert, aber inzwischen auch in allen politischen Zirkeln diskutiert wird.
Engler stellte in das Zentrum seiner Überlegungen die revolutionäre Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse: Wenn es jedem Bürger auch ohne Arbeit gestattet wäre, einigermaßen über die Runden zu kommen, dann würde dies die Unternehmen vor neuartige Fragen stellen: Sie müssten etwas bieten, was attraktiv wäre, sonst könnte sich ja jeder einfach von einem Arbeitsplatz, an dem er gemobbt oder anders unwürdig behandelt würde, verabschieden. Diese Abkoppelung des Einkommens von der Arbeit ist in Englers Augen erstrebenswert, aber nur dann, wenn jeder Mensch durch Bildung auch in die Lage versetzt würde, sein Leben selbst bestimmt zu leben.
In diesem Punkt distanzierte sich der Redner von seiner eigenen Publikation „Bürger ohne Arbeit“ von 2005, indem er eine Art Bedingung an die Ausschüttung dieser Grundsicherung knüpfen will, nämlich jene, dass man sich über einen Bildungsabschluss dafür auch qualifiziere. Schwere Sorgen bereiten ihm die bildungsfernen Schichten, in denen Jugendliche in einem Milieu aufwachsen, das Schule ignoriert und wo keine Hoffnung auf ein sinnvolles Leben genährt wird. Darin sieht Engler einen großen und langfristig gefährlichen Missstand in unserer sich auf immer weniger Arbeit spezialisierenden Gesellschaft. Wenn diese Bedingung aber erfüllt würde, so könnte sich Europa auf durchaus utopische Verhältnisse freuen, denn dann würden die Menschen mit weitaus mehr Freiheitspotentialen sinnerfüllt ihr Leben führen können, das nicht mehr nur, aber auch von selbstgewählter Arbeit bestimmt wäre. Zu schön, um wahr zu sein?
Die Finanzierung jedenfalls, so wurde jüngst berechnet, wäre möglich und sogar billiger als der aktuelle Sozialstaat. Goldene Zeiten, so scheint es, könnten auf uns alle warten, aber die Stimmung im Saal war dennoch eher verhalten und skeptisch. Vielleicht muss man erst einmal lernen, positive Visionen zu denken. Und sich von der protestantischen Ethik abkoppeln. Dazu braucht es sicher mehr als nur ein Rechenexempel. Lore Bardens
Lore Bardens
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