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Kultur: Schönes Leiden

„Tango Nuevo“ in der Schinkelhalle

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Es müssen Masochisten sein, diese Tango-Spieler. Wie sonst lässt es sich erklären, dass man so leidenschaftlich und mit einem Lächeln auf den Lippen diese schmerzvoll-dramatischen Stücke spielen kann? Pablo Ziegler ist einer von ihnen und er hat ein sympathisches Lächeln. Ganz in Schwarz tritt der einstige Weggefährte des legendären Ástor Piazzolla auf die Bühne der Schinkelhalle und setzt sich an seinen ebenfalls schwarzen Flügel. Mit ihm auf der Bühne sitzen der Gitarrist Quique Sinesi und Walter Castro am Tango-typischen Bandoneón. Drei Argentinier mit dem Tango im Herzen und alle drei Virtuosen auf ihrem Instrument – der Tango, das schönste aller Leiden, wird an diesem Abend ein musikalisches Fest werden.

Gleich unter den ersten Stücken befindet sich „La fundición“ („Die Schmelzhütte“), eine schöne Allegorie auf das Schaffen von Ziegler. Er setzt elegant und vielfältig das fort, was sein 1992 verstorbener Kollege Piazzolla begonnen hat und mengt dem ursprünglichen Werkstoff, dem Tango Argentino, Elemente aus Jazz, Blues und anderen Stilrichtungen bei.

Dieser Mix, der als Tango Nuevo bekannt wurde, ist lebendig, dynamisch und setzt den Musikern auch an diesem Abend keine Grenzen. Neben Passagen, die sich stringent an die Tango-Rhythmen und –Melodik halten, verfallen die Drei besonders in Stücken aus Zieglers Feder immer wieder in ausufernde Improvisationen. Sie nehmen Melodien auf, spielen mit ihnen ein wenig herum und reichen sie an den Nächsten weiter, der sich wiederum seinen eigenen Stoff daraus webt. Das Publikum staunt begeistert, mit welcher Hingabe und Begeisterung die Musiker ihre Finger wie Spinnen über Tasten, Knöpfe und Saiten krabbeln lassen.

Das Zusammenspiel des Trios beeindruckt dabei außerordentlich. Wie es auch beim Tango-Tanz auf kleine Impulse ankommt, die es richtig zu deuten gilt, gibt Ziegler mit minimalen Bewegungen den Takt und die Geschwindigkeit an. Es scheint das Heben einer Augenbraue zu sein, das einen Taktwechsel ankündigt. Ein kurzes Verziehen der Mundwinkel macht auf das nahende Ende des Solos aufmerksam. Und Klavier, Bandoneón und Gitarre harmonieren perfekt in dieser begeisternden Tango-Show.

Es ist ein Wechselbad der Gefühle, in dem sich das Publikum aalen darf. Erst geht es beschwingt zu in der „Milonga para Ernesto“, um schon kurz darauf in der „Milonga del adios“ die zerrissene, argentinische Seele mit klagenden Bandoneón-Lauten darzustellen.

Bei einem der bekanntesten Stücke von Piazzolla, „Libertango“, steckt Ziegler die ersten Minuten kopfüber im Korpus seines Flügels und hämmert auf die Saiten. Je länger das Konzert dauert, umso leidenschaftlicher werden die Drei. Auch der unnahbare Castro wiegt sich mit geschlossenen Augen, während er durch sein Bandoneón in tiefen Zügen die Luft atmet, die, in pausenlose Ton-Wogen verwandelt, wieder sein Instrument verlässt.

Nach drei Zugaben und einem letzten schmetternden Akkord verbeugen sich die Virtuosen mit einem bescheidenen Lächeln. Das musikalische Fenster zur argentinischen Seele hat sich wieder geschlossen. Leider.

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