Kultur: Schulze, Kehlmann und der Kleine Hei
Drei literarische Höhepunkte zum Jahreswechsel mit Wists Literarturladen
Stand:
Carsten Wist verkauft nicht einfach nur Bücher: In seinem Laden in der Brandenburger Straße wird ausgewählte Literatur gehandelt. Fast immer ist Wist mit dabei, wenn in Potsdam bekannte Schriftsteller Halt machen. Terezia Mora, Andreas Maier, Harry Rowohlt, Uwe Tellkamp, Jörg Thadeusz, Robert Schneider und Joachim Fest gastierten entweder im Waschhaus, im Filmmuseum, im Hans Otto Theater oder direkt im Obergeschoss des Literaturladens. Gemeinsam mit dem Brandenburgischen Literaturbüro und dem Theater konnte für den 8. Dezember Ingo Schulze („Neue Leben“) für eine Lesung in der Reithalle A gewonnen werden. Moderiert wird die Veranstaltung von Sigrid Löffler, Herausgeberin von „Literaturen“ und bekannt auch durch das „Literarische Quartett.“
Herr Wist, wie war das literarische Jahr 2005?
Ohne Zweifel, ein Traumjahr, für mich als Leser und Buchhändler. Es gab großartige Neuerscheinungen toller Autoren: Houellebecq, Roth, Hornby, Coetzee und Murakami, um nur einige der Wichtigsten zu nennen.
In Ihrem Literaturladen lasen dieses Jahr über 20 Autoren, darunter die Potsdamer Newcomerin Christine Anlauff, Publikumsliebling Jörg Thadeusz und Größen wie Robert Schneider. Wie ist Ihr Resümee?
Wir hatten „Ups and Downs“. Aus der Sicht des Zuhörers gab es aber ganz sicher keine Enttäuschungen. Aus der Sicht des Veranstalters schon. Aber die Resonanz darf nicht das entscheidende Kriterium für eine Lesung sein. Vielleicht bin ich immer noch zu naiv, wenn ich davon ausgehe, dass zu einem Büchner-Preisträger wie Arnold Stadler ganz selbstverständlich mindestens 30 Zuhörer kommen. Aber Lesungen waren, sind und werden wohl immer Zitterpartien bleiben, selbst bei Nobelpreisträgern.
Woran liegt es? Gibt es zu viele Literaturveranstaltungen in Potsdam?
Auf keinen Fall. Es reicht aber anscheinend heute nicht mehr, dass jemand aus seinem stillen Kämmerlein kommt, sein Buch aufschlägt und um nichts weiter bittet, als um’s Gehör. Und nichts anderes zu bieten hat als einen Text, dem man sich hingeben muss. Literatur ist eben nichts Schnelllebiges. Ich lebe für solche Augenblicke. Wie z.B. als Robert Schneider bei uns las, der ja sonst eher selten auftritt. Volles Haus, tolle Stimmung. Der Abend hatte etwas Religiöses, es war wie eine Andacht.
Am 13. Dezember verleihen Sie nun zum dritten Mal den „Kleinen Hei“ (benannt nach Sohn Heinrich) an einen Nachwuchsautor. Warum der Preis?
Ganz aus dem Gefühl heraus, dass sich von offizieller Seite zu wenig um Literatur gekümmert wird. Wo ist z.B. der Brandenburgische Literaturpreis? Für mich ist der Preis eine Art Autorenförderung. Ich erlaube mir ganz subjektiv auszuwählen. Der Kleine Hei geht an die für mich interessanteste und vielversprechendste Neuerscheinung des Jahres, diesmal an Tilman Rammstedt und seinen Roman „Wir bleiben in der Nähe“.
Warum Rammstedt?
Er erzählt in seinem Buch in einem sehr hörenswerten Ton eine Mischung aus Roadmovie und Abenteuergeschichte. Drei Freunde müssen sich fragen: Was ist aus unseren Idealen geworden? Wofür lohnt es sich, in unserer oberflächlichen Welt noch zu sagen: Das machen wir gemeinsam. Das Buch hat den Duktus vom Film „Die fetten Jahre sind vorbei,“ rau und anarchisch.
Ingo Schulzes Lesung dürfte für Sie der absolute Höhepunkt des Jahres sein.
Schulze in Potsdam zu haben, ist toll, ohne Zweifel, er ist ja sonst total ausgebucht. Sein Roman „Neue Leben“ ist das Buch des Herbstes, lange ersehnt. Sieben Jahre hat Schulze daran geschrieben.
Der Wenderoman schlechthin?
Möglich. Es geht sowohl um die DDR und um die Nachwendezeit. Wie der Westen in die Köpfe gekommen ist, wird in einer wahnsinnigen Konzentration beschrieben. Sein Held, der ehemalige Theaterdramaturg Enrico Türmer, versucht sich unter kapitalistischen Bedingungen als Zeitungsherausgeber. Das ist nebenbei auch sehr komisch.
Mit Daniel Kehlmann, dessen Buch „Die Vermessung der Welt“ momentan ganz vorn auf den Bestsellerlisten steht, kommt im Januar gleich noch ein Star nach Potsdam. Was zeichnet seinen Roman aus?
Ihm ist die von deutschen Autoren ja nicht für möglich gehaltene Quadratur des Kreises gelungen. Er hat einen niveauvollen Unterhaltungsroman geschrieben. Erstaunlich, mit welcher erzählerischen Leichtigkeit Kehlmann den Mathematiker Gauss und den Gelehrten Humboldt aufeinander treffen lässt. Ein literarischer Genuss. Ich freue mich auf den Autor.
Das Gespräch führte Matthias Hassenpflug.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: