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Kultur: Schwäche fürs Morbide

Ein Paar nicht nur in der Kunst: die Maler Tinka und Jürgen Scharsich

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Von Almut Andreae

„Hier kann ich machen, was ich will!“, sagt Tinka Scharsich. Im vergangenen Oktober hat sie in Potsdam ein neues Atelier gefunden, ein kleines Refugium. Der Blick durchs Fenster trifft auf Baumkronen ringsumher. Der einfach eingerichtete Raum ist lichtdurchflutet. Hierhin zieht sie sich zurück, um Abstand zu gewinnen von ihren vielfältigen Aufgaben als Kunsttherapeutin, Restauratorin und Mutter dreier gerade erwachsener Töchter. Als gelernte Textil- und Flächengestalterin aus dem angewandten Bereich, fühlt sich Tinka Scharsich inzwischen zunehmend in der freien Kunst zu Hause.

Auch deshalb hat sie sich kürzlich zusammen mit ihrem Mann Jürgen Scharsich um eine Aufnahme in den Brandenburgischen Verband Bildender Künstler beworben. Zusammen mit neun weiteren Neumitgliedern des Berufsverbandes sind aktuelle Arbeiten der beiden nun bis zum 26. April in der Galerie „M“ im Luisenforum zu sehen.

Der Impuls, bei einem Künstlerpaar nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden der jeweiligen Handschrift zu schauen, ist sehr schnell da. Hier in der Ausstellung bietet er sich geradezu an. Tinka Scharsich zeigt drei Arbeiten in Mischtechnik auf Papier. Ähnlich reduziert wie ihre Farben ist auch ihre Formensprache. Oft entstehen in ihren Bildern filigrane Figuren aus gebogenem Draht. In der Collage „Hinter den Dünen“ werden die aufrecht ins Bild gebrachten Drahtstücke dagegen zu Hochspannungsmasten. Ein Stück Blech wird in der mit sparsamen Mitteln inszenierten Landschaft zum ruhig lagernden Gegenpol.

Charakteristisch für die Arbeitsweise von Tinka Scharsich ist, dass sie unterschiedliches Material, montiert in die Fläche, in eine spannungsvolle Beziehung zueinander bringt. Zwischen einem Metallring oder einem rostigen Schlüssel und einem Stück Zeitung entspinnen sich in ihren Collagen und Materialschichtungen kleine Szenen von spielerischer Leichtigkeit.

Wie anders präsentieren sich demgegenüber die Leinwandbilder von Jürgen Scharsich. Die von ihm in der Galerie „M“ gezeigten Arbeiten heißen „Rost-Triptychon“ und „Rot“. Hier wurde an Farbe nicht gespart. Dick und krustig wirft sie sich zu regelrechten Farbschollen auf. In die schrundige Oberflächentextur des Triptychons hat der Künstler kräftig Rost hineingemischt. Auch er hat ein Faible für Materialbilder und Mischtechniken, nur dass er im Unterschied zu seiner Frau nur selten Fundstücke verwendet. Die Materialschwere entsteht in seinen Bildern aus der Beimischung artfremder Zutaten, wie Sand oder eben Rost, in die Farbe. Seine meist ins große Format drängenden Bilder sind überwiegend abstrakt. Sie entstehen zum Teil über einen Zeitraum von mehreren Wochen. Das hat auch damit zu tun, dass der Maler tagsüber weniger vor der Leinwand als auf der Leiter oder vor einer großen Wandfläche steht, um historische Innenräume und Wandfassungen zu restaurieren. Seitdem er das macht, hat er eine echte Schwäche für morbide Flächen entwickelt. Auch seine Frau, die ihm bei diesen Arbeiten zur Hand geht, ist davon längst angesteckt. Beide greifen in ihrer Kunst die Versehrtheit alter, brüchiger Flächen und die Patina, mit denen sie in ihrem Tagesgeschäft viel zu tun haben, unwillkürlich wieder auf.

In dem winzigen Atelier von Jürgen Scharsich füllt ein großes Ölbild, das unter dem Eindruck einer Reise nach Naxos entstand, fast die ganze Wand. Fast zärtlich streicht der Maler über die Stelle der Leinwand, an dem ihm durch den richtigen Mix aus Farbe und Sand eine verblüffend realistisch anmutende Rekonstruktion einer verwitterten Hauswand gelang. Vielleicht färben auch seine gelegentlichen Ausflüge in die Szenografie und Filmkulissengestaltung auf seine freie Kunst ab.

Wenn man Jürgen Scharsich erzählen lässt, sprudeln die Geschichten nur so aus ihm heraus. Die innere Unruhe, der er zuweilen auf langen Exkursionen per Fahrrad begegnet, gleicht einem Spagat zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen des täglichen Lebens. Umso mehr sehnt sich der Künstler in zunehmendem Maße nach Ruhe und Besinnung. Die holt er sich des Nachts in seinem kleinen Atelier – das für ihn, ähnlich wie für seine Frau, zum Refugium wird. Wenn um ihn herum völlige Ruhe herrscht, ist endlich Zeit für Zwiesprache – mit dem Bild und mit sich selbst. „Bildermalen“, findet Jürgen Scharsich, „ist so eine Art Meditation.“

Tinka und Jürgen Scharsich präsentieren sich und ihre Kunst anlässlich der Offenen Ateliers am 3. Mai in der Clara-Zetkin-Straße 6.

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