Oliver Dietrich bedauert, dass die „American Gigolos“ nicht blankziehen: Schwanz eingezogen
Nein, wie konnte so etwas passieren: Am kommenden Montag wollte der Nikolaisaal, immerhin der Hort gehobener Potsdamer Kultur, mal den Stier bei den Hörnern nehmen und – praktisch im Spielplan zwischen Vivaldi und Tschaikowski verpackt – die „American Gigolos“ auf ihrer „Hotter than hell“-Tour präsentieren. Nackte Tatsachen, speziell auf Frauen zugeschnitten, eine gigantische Tanz-Strip-Show, in der sich durchtrainierte Macho-Typen die Klinke in die Hand geben.
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Nein, wie konnte so etwas passieren: Am kommenden Montag wollte der Nikolaisaal, immerhin der Hort gehobener Potsdamer Kultur, mal den Stier bei den Hörnern nehmen und – praktisch im Spielplan zwischen Vivaldi und Tschaikowski verpackt – die „American Gigolos“ auf ihrer „Hotter than hell“-Tour präsentieren. Nackte Tatsachen, speziell auf Frauen zugeschnitten, eine gigantische Tanz-Strip-Show, in der sich durchtrainierte Macho-Typen die Klinke in die Hand geben. Aber ach, dazu kommt es jetzt doch nicht: Die Tour der „Gigolos“ – die sich übrigens gerade im Rechtsstreit mit den „Chippendales“ befinden – wurde vom Geraer Veranstalter „Reset Production“ gecancelt, da die Qualität wohl zu kurz gekommen sei; es habe Beschwerden der Zuschauer gegeben, heißt es knapp, also Grund genug, den Schwanz einzuziehen.
Vielleicht sollte man erleichtert sein, aber der Nikolaisaal ist eben nicht Clärchens Tanzcafé, wo mit Prosecco und ganz viel Bumsfallera mal eben eine Ladies Night abgehalten wird; allerdings spricht ja prinzipiell nichts dagegen, das eher Klassik-lastige Programm ein wenig aufzupoppen. Dumm eben nur, wenn dem Strippenzieher der Veranstaltung derart faule Eier untergejubelt werden und dieses nicht mal eben billige Event einfach verpufft. Aber was wurde denn erwartet? Ein Saal, bis zum Bersten gefüllt mit Single-Mittvierzigerinnen, die in orgiastisches Gekreische ausbrechen? Einige mögen diese Vorstellung bestimmt penetrant finden, aber man stelle sich an dieser Stelle mal das Gegenteil vor Nein, eine Tutti-Frutti-Show im Nikolaisaal wäre wohl das unvorstellbare Ende der Fahnenstange gewesen.
Dennoch bleibt die Frage, warum dieser Show überhaupt das potenzielle Eindringen in die hochgelobte Potsdamer kulturelle Vielfalt gestattet werden konnte. Höchstwahrscheinlich blanke pekuniäre Gründe – Sex sells zwar, aber hätte man da die Latte nicht ruhig ein wenig höher hängen können? Aus und vorbei, die glattrasierten, gut geölten, muskulösen Herrenkörper bleiben uns nun erspart, die Konzerte von Vivaldi und Tschaikowski finden aber wie gewohnt statt. Ach ja: Bereits gekaufte Eintrittskarten für die „American Gigolos“ können selbstverständlich an den Vorverkaufsstellen zurückgegeben werden – hat jemand noch welche?
Oliver Dietrich
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