Kultur: Schwere Pranke auf den Tasten
Pianist Olli Mustonen, Meister des Kontrasts, im Nikolaisaal
Stand:
Nicht ein Wort richtete Olli Mustonen an diesem Abend ans Publikum. Der Meisterpianist pflegt bei Auftritten eine Unnahbarkeit, die leicht mit Arroganz verwechselt werden kann. Doch wer Mustonen, wie am Donnerstag im Nikolaisaal, einmal am Klavier erlebt hat, ahnt, dass diese Unnahbarkeit aus einer absoluten Versenkung in die Musik resultieren muss.
Bei seinen Auftritten verlangt sich Mustonen alles ab. Jede Aufführung, so die Prämisse des Finnen, muss das Besondere und die Frische einer Premiere haben. Das Publikum soll den Komponisten so neu, so klar und so verständlich erleben, als sei er ein Zeitgenosse. Ein Ansatz, der nicht jedem behagt und in seinem Anspruch eine gewisse Maßlosigkeit in sich trägt. Doch ist es gerade diese Kompromislossigkeit, die Mustonen auszeichnet und an der sich die Geister immer wieder scheiden.
Tschaikowsky, Skrjabin und eine Eigenkomposition standen auf dem Programm in der Reihe „Black & White. Meisterpianisten zwischen Klassik, Jazz und Improvisation“. Waren die bisherigen „Black & White“-Konzerte im Saal schon Wochen vorher ausverkauft, musste Mustonens Auftritt wegen geringer Nachfrage ins Foyer verlegt werden. Und selbst dort war nicht jeder Platz belegt.
Tschaikowskys Zyklus „Die Jahreszeiten“ stand am Anfang dieses Abends. Zwölf Charakterstücke, jedem Monat eines gewidmet, die Mustonen zu einem turbulenten Jahr zusammen schnürte. Auf seinen Aktualitätsanspruch bezogen, kann dies nur heißen: Beunruhigende Zeiten brauchen beunruhigende Interpretationen. Ob „Januar: Am Kamin“ oder „März: Lied der Lerche“, die lyrischen Momente in diesen eher verhalten-besinnlichen Stücken hatten bei Mustonen immer einen drohenden Unterton. Und so war es nicht verwunderlich, dass er in „Juli: Lied der Schnitter“, aber ganz besonders in „August: Erntelied“ und „September: Die Jagd“ dem ausgiebig frönte, für das er berühmt und berüchtigt ist: Die schwere Pranke auf den Tasten.
Hier meißelte er in schweißtreibender Manier förmlich „Die Jahreszeiten“ aus dem Klavier, so dass wirklich von Charakterstücken die Rede sein konnte. Auch seine Eigenkomposition „Jehkin Iiavna“ lebt von dieser erschütternden Wucht und dem brachialen Spannungsaufbau, die einen Konzertabend mit Mustonen zu einem Erlebnis machen. In der Pause musste dann erst einmal der Klavierstimmer ran, um den so verdroschenen Steinway wieder in Stimmung zu bringen.
Auch in Alexander Skrjabins 12 Etüden op. 8 ließ Mustonen oft die linke Hand schwer in den Bass krachen, wusste diese Wucht aber durch seinen klar, akzentuierten Anschlag immer wieder abzufedern. Doch die fast schon tranceartige Hingabe, mit der er sich in die Kompositionen vergrub, ja regelrecht verbiss, wollte sich nicht oft auf den Zuhörer übertragen. Das ständige Aufbrausen, das fast schon überbetonte Kontrastreiche, mit dem er die Stücke durchmaß und das selbst in den ruhigen Momenten spürbar blieb, verlor mit der Zeit an Spannung und lief so Gefahr, beliebig zu werden. Dirk Becker
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: