zum Hauptinhalt

Kultur: Schwere Zeiten, leichte Filme?

Filmmuseum Potsdam beleuchtete die Anfänge des Farbfilms

Stand:

Filmmuseum Potsdam beleuchtete die Anfänge des Farbfilms Eine Fahrt auf brandenburgischen Gewässern. Erst die Oder, dann die Spree und endlich die Havel mit ihren Seen. Gemächlich folgt die Kamera dem Lastkahn, der diesen Weg nimmt; der Blick zum Ufer gibt ein idyllisches Bild: Bauern erledigen mit Pferden ihre Arbeit, Gänse tummeln sich um einen Brunnen. Eine kurze Einstellung zeigt die sanftmütige Stadt Berlin. Man wähnt sich in einem friedlichen Land. Und alles erstrahlt in leuchtenden Farben – dank „Agfacolor“. Der Filmwissenschaftler Ralf Forster erläuterte bei einer Veranstaltung im Filmmuseum, die sich der Frühphase des Farbfilms widmete, dass die Realitätsferne der Märkischen Fahrt von 1942 zumindest für die farbigen „Kulturfilme“, wie sie unter nationalsozialistischer Federführung entstanden, durchaus typisch ist. Da sich die Wirklichkeit im Deutschen Reich anders als erhofft entwickelte, begann die Bevölkerung die katastrophalen Auswirkungen der Politik zu spüren und sich um Angehörige und Freunde zu sorgen. „Die Kulturfilme“ waren Teil des Propagandaprogramms“ soForster. „Schwere Zeiten, leichte Filme“ war die Devise. Die wenigen farbigen Filme aus dieser Zeit – eine Auswahl zeigte das Filmmuseum – waren Farbtupfer in einer zunehmend grauen Umgebung, weshalb sie, laut Forster, weitgehend von politischen Inhalten freigehalten wurden. Nichts an ihnen erinnert an den strengen Ton der zwar ebenfalls geschönten, aber der Wirklichkeit der 40er Jahre noch näheren Wochenschauen. Zwischen diesen und dem Hauptfilm waren die kurzen Streifen oft eingebaut. Ein besonderes Genre bildeten die naturwissenschaftlichen „Kulturfilme“, die nicht nur biologistische Ideen vermittelten, sondern auch durch Zeitraffer, mikroskopische Aufnahmen und nicht zuletzt ihre Farbe die technologische Überlegenheit Deutschlands beweisen sollten. Denn man hatte, wie Wolfgang Kubak vom Industrie- und Filmmuseum Wolfen ausführte, schon vom Beginn der Filmtechnik an versucht, farbige Bilder zu erzeugen. In Deutschland war man ab 1936 so weit, nachdem Agfa in Wolfen den technisch revolutionären, mehrschichtigen Farbnegativfilm, entwickelt hatte. Zwar war dieses Verfahren noch nicht perfekt, da es noch stark zur Farbstichigkeit neigte, dennoch ermöglichte es, mit gewöhnlichen Filmkameras kopierfähige und abendfüllende Farbfilme herzustellen. Nicht zur Sprache kam im Filmmuseum ein Thema, auf das der Berliner Historiker Janis Schmelzer in seinen Publikationen verweist: Bei Agfa in Wolfen und mithin auch bei der Herstellung von „Agfacolor“ wurden ihm zu Folge Hunderte Zwangsarbeiter ausgebeutet. Weiter habe die Firma bereitwillig farbiges Filmmaterial zur Dokumentation einer Baustelle des Vernichtungslagers in Auschwitz bereitgestellt. Schmelzer holt die frühen farbigen Streifen somit endgültig vom Sockel der Unschuld. Vor diesem Hintergrund bekommt auch der harmlos daherkommende, erste abendfüllende deutsche Farbfilm, „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ von 1939/41, der das Programm im Filmmuseum abschloss, bei aller Begeisterung für technische Finesse einen bitteren Beigeschmack.Moritz Reininghaus

Moritz Reininghaus

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })