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Kultur: Schwingende Klarheit

Nikolaikantor Björn O. Wiede über die neue Orgel, deren Weihe und die sich anschließenden Bachtage

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Nikolaikantor Björn O. Wiede über die neue Orgel, deren Weihe und die sich anschließenden Bachtage Am Sonntag wird in der Potsdamer Nikolaikirche die neue Orgel eingeweiht. Diese Weihe ist zugleich Auftakt der Bachtage Potsdam. Dazu kamen die PNN mit dem Organisator, dem Kantor der Nikolaikirche Björn O. Wiede, ins Gespräch. Das Sprichwort sagt, einem geschenkten Gaul Haben Sie ihm, in Gestalt der gestifteten Orgel, dennoch in“s Maul geschaut? Selbstverständlich. Bevor wir daran gingen, dieses fünfzig Jahre alte Orgelwerk uns schenken zu lassen, habe ich es mit Orgelbaumeister Kreienbrink aus Georgsmarienhütte sehr genau beschaut, spielerisch geprüft und mir einige Gedanken darüber gemacht, wie es in St. Nikolai wirken könnte. Kann es erweitert und umgebaut werden? Wie wirkt sich das auf die Intonation aus? Nachdem dieses geklärt war, sind wir in das Gespräch mit der Essener Gemeinde gegangen, in dessen Ergebnis die Schenkung des Instruments im damaligen Zustand stand. Es steht an fast gleicher Stelle wie die nun entsorgte Kleinorgel. Ist damit das Ziel für eine große „Königin“ auf der Empore, ihrem angestammten Platz, aus der Welt beziehungsweise hätte man nicht das neue Instrument dorthin stellen können? Nein, das Ziel ist nicht aus der Welt: die große Nikolaiorgel im historischen Prospekt von Schinkel bleibt mittelfristig weiter in unserem Plan. Mit dem Instrument aus Essen haben wir eine ideale Altarorgel, die für die Orgelempore schlicht zu klein gewesen wäre. Optisch hätte sie sich dort oben zwar hübsch ausgenommen, doch sie wäre in der Lücke verschwunden, die ja nur die frühere Bälgekammer darstellt. Und klanglich wäre es auch wieder nur ein Kompromiss geworden. Wer eigentlich hat die neue Altarorgel gebaut? Die Benennung nach Orgelbaumeistern macht nicht immer Sinn. Das führte in Einzelfällen dazu, dass nach Umbauten manchmal bis zu drei Namen genannt werden. Und so werden wir ihr auch keinen Namen geben. Sie ist von der Berliner Orgelbaufirma Karl Schuke 1954 gebaut worden. Die Orgelbaumanufaktur Kreienbrink hat sie umgebaut, erweitert, neu intoniert und mit einem neuen Gehäuse versehen. Sie verfügt über fast 1600 Pfeifen für 21 Register auf zwei Manualen und Pedalwerk. Passt dieses namenlose Instrument überhaupt an diese Stelle? Aber natürlich, denn sie steht an einem der akustisch günstigsten Orte in St. Nikolai! Da sich Schall bekanntlich kreisförmig ausbreitet, wird jede Ecke des Kirchenraumes gleichmäßig von Klang erfüllt. Dennoch ist es ein ungewöhnlicher Anblick, wie sie den Sitzenden nicht den Prospekt, sondern ihre Schmalseite herzeigt. Da muss ich Ihnen widersprechen. Es gibt viele Dome, Kathedralen und größere Kirchen, in denen es eine Altarorgel, eine Schwalbennestorgel, eine Chororgel gibt, die sich seitlich befinden. Das ist gewöhnlich und mir schon eine gewohnte Sache – etwa aus dem Hamburger Michel, dem Ulmer Münster, der Dresdner Kreuzkirche Ist diese Seitenstellung nicht auch baulichen Besonderheiten geschuldet? Ja, weil sich bekanntlich eine Tür für hintere Räumlichkeiten befindet, und die müssen weiterhin erreichbar bleiben. Also wurde das gesamte Pedalwerk der Orgel nach oben gesetzt, so dass hinter der Orgel noch hindurchgegangen werden kann. Weiterhin sind die beiden Orgelteile gegeneinander verschiebbar, was zugleich den notwendigen Zugang zwecks technischer und intonatorischer Wartung ermöglicht. Da die Orgel auf einem Podest steht, ist es möglich, dass der vordere Teil auf schienengeführten Rollen gegen den hinteren, fest verankerten verschoben werden kann. Was zeichnet die Disposition des Instruments aus? Sie basiert auf dem neobarocken Stil, allerdings mit einer starken Betonung der Zungen- und der Grundstimmen. Daraus ergibt sich ein Klangbild, das grundtöniger als vermutet ausfällt und sich sehr gut mischt. Daher ist die Orgel relativ vielfältig einsetzbar. Auch ein französisches Pleno lässt sich gut erzeugen. Eine dispositionelle Besonderheit ist ein 16-Fuß-Dulzian im Oberwerk, der schwellwerkähnlich den Klang abrundet und ein zimbelsternartiges Glockenspiel. Die Solostimmen schwingen wunderbar klar im Raum. Und diese schwingende Klarheit, wie ich den Orgelcharakter beschreiben möchte, wird der Potsdamer Orgellandschaft eine interessante Nuance verleihen. Was lässt sich auf der Orgel spielen, was nicht? Je übersichtlicher und klar strukturierter die Noten sind, desto besser wird die Musik klingen. Allerdings sollte man nicht vergessen: Sie ist und bleibt eine Altarorgel, von der klangliche Ausbrüche nicht zu erwarten sind. Bach, Mendelssohn und Schumann dürften die Komponisten sein, deren Werke hervorragend zur Geltung kommen werden. Von den Franzosen wären es Langlais und Messiaen. Liszt geht nur mit Einschränkungen, Reger am wenigsten. Polyphones aus Barock und klassischer Moderne werden, neben den liturgischen Aufgaben, die Pfeiler des konzertanten Angebots sein. Die Orgelweihe durch den ungarischen Organisten Istvan Ruppert eröffnet zugleich die Potsdamer Bachtage. Knüpfen Sie sich einen roten Faden bei der Annäherung an Bach? Es gibt traditionell bei diesem Festival, das mittlerweile zum fünften Mal stattfindet, keinen durchgehenden roten Faden. Wir versuchen die Breite des Bachschen uvres darzustellen – und zwar im Gegenüber von unterschiedlichen aktuellen Interpretationsformen und von Kompositionen, die eine Reaktion oder eine Fortführung des kompositorischen Ansatzes von Bach bedeuten. Wer nimmt sich ihrer an? Altmeister und junge, international bewährte Künstler, die sowohl historisches als auch modernes Instrumentarium benutzen. Zu einer Besonderheit der Bachtage gehört das Experiment bei der Aneignung von Bachwerken. Bleiben Sie dabei ihrem Weg treu? Unbedingt. Was ich mit der Erarbeitung von solistisch besetzten vokal-instrumentalen Werken wie beispielsweise einiger Kantaten und der Matthäuspassion begann, werde ich in diesem Jahr mit drei lutherischen Messen fortsetzen. Was sollte man sich bei den Bachtagen weiterhin nicht entgehen lassen? Neben dem festlichen Eröffnungskonzert auf keinen Fall die Klangnacht mit Improvisationen über b-a-c-h, den Klavierabend mit Gianluca Luisi und das Abschlusskonzert mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt, in dem sich Arvo Pärt und Johann Sebastian Bach begegnen. Das Gespräch führte Peter Buske.

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