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ZUR PERSON: Sechs Saiten und ein Orchester

Sharon Isbin über Architektur in der Musik und nie gehörte Effekte – Samstag spielt sie im Nikolaisaal Ich für meinen Teil hatte einfach das Glück, das tun zu können, was ich liebe.“ „Es ist, als würden wir zuhören können, wie ein Bild von Dalí anfängt zu klingen.“

Stand:

Frau Isbin, die klassische Gitarre ist ein sehr intimes Instrument, das seine klanglichen Möglichkeiten wohl am schönsten bei einem Soloauftritt entfalten kann. Bei Ihrem Auftritt am Samstag in Potsdam sind Sie aber zusammen mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt zu erleben. Abgesehen von Rodrigos bekanntem „Concierto de Aranjuez“ für Gitarre und Orchester, ist diese Verbindung doch eher selten zu hören. Was reizt Sie ausgerechnet, sich mit sechs Nylonsaiten gegen ein ganzes Orchester durchzusetzen?

Die Gitarre ist ein Instrument mit einer enormen Vielfalt an Klangfarben. Einer viel größeren Vielfalt, als andere Instrumente sie haben.

Das sagen Sie als Gitarristin.

Ja, denn das liegt an dem direkten Kontakt des Musikers mit den Saiten. Ich spiele das Instrument ohne Hilfsmittel, wie einem Bogen, Tasten, Pedalen oder Ähnlichem. Viele Töne der Gitarre, von süß bis metallisch-hart, sind ja durch Instrumente des Orchesters inspiriert. Wenn man diese klangliche Vielfalt der Gitarre nun mit dem Orchester zusammenbringt, entsteht eine Vielschichtigkeit, ein größerer klanglicher Umfang und eine dynamischere Tragweite.

Aber trotzdem, wenn die Gitarre in ihrer Vielfalt unübertroffen ist, warum spielen Sie kein Solokonzert? Bei Ihrem Namen wären die Säle doch mit Sicherheit ausverkauft.

Beim nächsten Mal. Versprochen.

Am Samstag werden Sie das „Concert de Gaudi“ von Christopher Rouse spielen, das er für Sie geschrieben hat und dem spanischen Architekten Antoni Gaudí gewidmet ist. Gaudi war einer der bekanntesten Vertreter des sogenannten Modernisme Català, der katalanischen Spielart des Jugendstils. Was ist da musikalisch zu erwarten? Ein Konzert, das wieder vor allem die spanischen Gitarrenklischees wie den Flamenco zitiert?

Rouse ist ein großer Bewunderer Gaudís und seine Art zu komponieren, ist vor allem durch die kreative Vorstellungskraft dieses Architekten inspiriert. Das „Concert de Gaudí“ wird zwar mit klassischen spanischen Gitarrenthemen eröffnet, geht dann aber über in surrealistische Interpretationen der modernen Welt, ähnlich denen in Gaudís Architektur. Es ist, als würden wir zuhören können, wie ein Bild von Dalí anfängt zu klingen. Der zweite Satz ist inspiriert durch die wunderschöne mystische Sagrada Família.

Die bis heute unvollendete römisch-katholische Basilika in Barcelona, die ein wenig so aussieht, als hätte da jemand zu viel mit Zuckerguss gearbeitet?

Ja, und dieser zweite Satz ist besonders lyrisch und spirituell. Der letzte Satz ist für die Gitarre sehr virtuos, mit aufregendem und forwärtstreibendem Schwung, wechselnden Takten und einem eindrucksvollen Solo.

Davon abgesehen, gewinnt Rouse mit seinem „Concert de Gaudi“ der Gitarre auch neue klangliche Seiten und gestalterische Möglichkeiten ab?

Obwohl er keine komplett neuen Techniken für die Gitarre erfindet, benutzt Rouse auf kreative und neue Art den Tonumfang, Glissando-Effekte und fordert vor allem die rechte Hand in Sachen Schnelligkeit und Virtuosität. In der Kombination mit einer innovativen und klanglich vielfältigen Orchestrierung entstehen so nie gehörte Effekte.

Mal ganz ehrlich, genügt es bei der klassischen Gitarre nicht, wenn der Spieler sich seiner spanischen Tradition bewusst ist, Lautenmusik nachspielt oder sich an Transkriptionen von Bachs Cello- und Violinensonaten abmüht?

Ach wissen Sie, die Gitarre ist so umfassend sowohl mit der Vergangenheit als auch der Gegenwart in Pop- und Rockmusik, Folk und Jazz verknüpft. Das bietet Komponisten und Musikern unerschöpfliche Möglichkeiten. Seit vielen Jahren arbeite ich mit Künstlern sowohl aus dem klassischen als auch anderen Genres zusammen. Meine letzte Studioaufnahme „Journey to the New World“, bei der ich von Künstlern wie Joan Baez oder dem Geiger Mark O’Connor unterstützt wurde, hat ihren musikalischen Ursprung auf den britischen Inseln des 16. Jahrhunderts. Von dort aus überqueren wir den Ozean mit den Immigranten, mit ihrer Musik, ihren Hoffnungen und Träumen, die in der neuen Welt schließlich in der Folkmusik zum Ausdruck kommen. Das Mittelstück der Aufnahme, eineKomposition für Gitarre solo mit dem Titel „Joan Baez Suite“, hat der britische Komponist John Duarte für mich geschrieben.

Aber bei der von Ihnen angesprochenen Musik von den britischen Inseln des 16. Jahrhunderts auf „Journey to the New World“ handelt es sich ja um Lautenwerke der Renaissance. Und auch an Johann Sebastian Bach sind Sie bestimmt nicht vorbeigekommen, obwohl der nie für die Gitarre komponiert hat.

Allerdings, denn ich habe zehn Jahre lang barocke Aufführungspraxis mit der großartigen Bachinterpretin und Lehrerin Rosalyn Tureck studiert. Zusammen haben wir eine eigene Ausgabe der kompletten Lautensuiten von Bach für Gitarre erarbeitet, die ich dann auch aufgenommen habe.

Das Neue reizt Sie aber auch. Gibt es überhaupt jüngere Komponisten, die für die klassische Gitarre wirklich musikalisch Neuland beschreiten?

Oh ja, und ich hatte die Ehre, mit vielen von ihnen, abgesehen von den bereits genannten, arbeiten zu können, darunter Aaron Kernis, John Corigliano, Tan Dun, Joan Tower, Joseph Schwanter, Ned Rorem, Thiago de Mello, Leo Brouwer und Howard Shore.

Frau Isbin, Sie haben zwei Grammys gewonnen und vor Präsident Barack Obama im Weißen Haus gespielt. Wann hat man es heute als klassischer Gitarrist geschafft? Ab wann zählt man zu den wirklich Großen?

Ich für meinen Teil hatte einfach das Glück, das tun zu können, was ich liebe. Ich habe mit hervorragenden Kollegen gearbeitet, konnte forschen und viele Aufnahmen machen. In der Abteilung für Gitarre, die ich 1989 an der Juilliard School in New York gründet habe, und die ich seitdem leite, habe ich die Möglichkeit, viele talentierte Studenten auszubilden. Derzeit wird für das Fernsehen ein Dokumentarfilm über meine bisherige Arbeit produziert. Wissen Sie, all das trägt dazu bei, dass sich das Publikum für die Gitarre ständig erweitert, dass es immer neue Liebhaber dieses Instruments und der klassischen Musik gibt.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Sharon Isbin ist am morgigen Samstag um 19.30 Uhr zusammen mit dem Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt unter der Leitung Eduardo Portal im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11 zu erleben. Der Eintritt kostet zwischen 8 und 26 Euro. Karten in der Ticketgalerie des Nikolaisaals oder unter Tel.: (0331) 28 888 28

Sharon Isbin, geboren 1956 in St. Louis Park im US-Bundesstaat Minnesota, ist klassische Gitarristin.

Sharon Isbin erhielt ab dem neunten Lebensjahr Gitarrenunterricht. Später studierte sie an der Yale University in New Haven/Connecticut. Zu ihren späteren Lehrern gehörten unter anderen Andrés Segovia und Oscar Ghiglia. 1989 gründete sie an der Juilliard School of Music in New York die erste Gitarrenklasse.

Sharon Isbin erhielt, als bisher einzige klassische Gitarristin zwei Grammy Awards für ihre Einspielungen „Dreams of a World“ und „Journey to the New World“. kip

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