Kultur: Seelenausschüttung, naturgemäß
„Wie es war in einem Satz“ im „nachtboulevard“ des Hans Otto Theaters
Stand:
Der „nachtboulevard“ im Hans Otto Theater will im Selbstverständnis für „Anregendes, Entspanntes, Unglaubliches, Lustvolles, Leichtes, Abseitiges, Lautes &Leises“ in der Reithalle A sorgen. Klingt gut, zumal man mit dem Format „Potsdamer Köpfe“ sogar Wissenschaftliche ins Boot geholt hat. Am Samstag aber ging es weder um Erziehungs- noch um kosmogonische Fragen, nur um eine ganz ordinäre, an Thomas Bernhard (1931-1989) geschulte Psycho-Kiste zwischen einer depressiven „Sie“ und dem an ihr nicht nur leidenden, sondern schier verzweifeln wollenden „Ihm“. Tobias Schwartz hat von dem österreichischen Psycho-Paten und Romancier, ein Faszinosum aller Intellektuellen nach ihm, viel gelernt: wie man einen Monolog für einen Berichterstatter und sein stummes Gegenüber schreibt, wie Situationen ins Groteske gedrängt werden, wie man ganz dezent dessen Wortmarker „naturgemäß“ oder „durchaus“ ins Manuskript hineintextet, bis mit „Wie es war in einem Satz“ eine Thomas-Bernhard-Kopie von täuschender Echtheit entsteht. Und Tobias Schwartz brachte seine Hommage sogar selbst auf die Bühne. So entstand ein Werk, etwas mehr Szene als Lesung.
Franziska Melzer hat den leichteren Part, sie sitzt im roten Kleid auf einem Stuhl, liest, vernimmt die Schimpf- und Hasstiraden ihres Lebensgefährten fast ohne Regung, während dieser, langbefrackt und weiß gewestet, durch die Zimmerfluchten hastet, vom Sofa zum Flügel, vom Publikum zu ihr, um im Crescendo zu schreien, zu toben, zu weinen, bis einem selbst das Herze schier brechen wollte. Bernd Geiling löst diese Aufgabe nach den Wünschen der Regie mit dem Manuskript in der Hand fast bravourös. Dieser „Pseudo-Bernhard“ erzählt dem Publikum ja nur von den Verletzungen, welche seine depressive Lebenspartnerin ihm angeblich zugefügt hätte. Sie wollte mit ihm reden, er erträgt sie nicht, sie sucht Hilfe bei einem Psychiater, er höhnt seiner mit dem grimmigsten Humor. Bald aber zeigt sich, wie sehr ihre Ruhe seine Unruhe, ihr Schweigen zu seiner Furcht wird.
Er redet im kaum überhöhten Spiel nur von sich, wenn er sie niedermacht, tief kränkt und beleidigt. So verwandelt sich dieser Kotzbrocken vor aller Augen in ein ganz armes Würstchen, wird zum Patienten ihrer selbst. Das zu erkennen war nun nicht schwer, zumal die Textstruktur ohnehin nicht ausgewogen ist. In der Erzählebene wird nun behauptet, diese ins Extrem getriebene Seelenausschüttung hätte sich auf dem Weg zu einer Bushaltestelle abgespielt, also außen. Das aber blieb im szenisch-lesenden Ablauf ganz folgenlos. Vielleicht lag das an der knappen Probenzeit, was kann man denn in einer Woche schon erreichen!
Trotzdem wäre weniger mehr gewesen: mehr Intensität und Ruhe innen, weniger Gänge außen. Wenn Geiling den Alkoholiker darstellen will, muss er nicht urplötzlich eine halbe Flasche Rotwein kübeln, was genau so folgenlos bleibt wie ein anfängliches Mozart-Dirigat. Man kapiert zu schnell, wie sehr sie vorn und er hinten ist. Ein Lebensgefährte in sexueller Hörigkeit ist ohnehin kein guter Krankenpfleger. Wo also wollte diese geheimnisvolle Aufführung eigentlich hin? Als wäre gar nichts gewesen, erhebt sich die schöne Stumme nach gut 60 Minuten, geht zum Flügel. Er haut ein paar schräge Akkorde in die Tasten, sie hebt an zu singen – das wars. Viel Beifall im vollbesetzten Raum. Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: