Kultur: Seelenklagen
Eindringliches Konzert mit Passionsmusiken von Verdi, Puccini und Cherubini in der Erlöserkirche
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Ja, wie war das denn nun, als Jesus gekreuzigt wurde – stand seine Mutter bei dem Kreuze oder nicht? Der Evangelistenbericht des Matthäus verliert darüber kein Wort, der von Johannes erzählt es im Kapitel 19, Vers 25-27. Doch was in ihrem Inneren vorging, darüber berichtet auch er nichts. Erst im mittelalterlichen Reimgebet „Stabat mater“ wird es niedergeschrieben. „Es stand die Mutter schmerzensreich “ heißt es dort, und es beschreibt eindringlich ihre Seelenzustände, wie sie hilflos zusehen muss, wie ihr Sohn stirbt.
Viele Komponisten haben das Zeugnis einer sehr menschlichen Marienhommage vertont. Auch Giuseppe Verdi, der sich dabei total auf die tonsetzerische Auslegung des einfühlsamen Textes konzentrierte. Ein Stück für die Passionszeit. Und so führten es die Potsdamer Kantorei und das Neue Kammerorchester Potsdam unter Leitung von Ud Joffe am Sonnabend Abend in der sehr gut besuchten Erlöserkirche auf – gleichsam als ihren Beitrag zum mehr meditativen „Dornenzeit“-Zyklus der Friedenskirche.
Nach vier Akkorden aus leeren Quinten, unisono vom Orchester angestimmt, beginnt der Chor in gebührend getragenen Zeitmaßen mit dem Vortrag des von viel Seufzermelodik erfüllten Berichts. Man singt und musiziert gradlinig an den Noten entlang, ganz im Verdischen Sinne. Kraftvoll trumpft die Kantorei auf, wenn es das leidenschaftliche Geschehen auszudeuten gilt: „ et flagellis subditum“ (und mit Geißeln gemartert). Stockend und angstvoll deklamiert sie das „Cum emisit spiritum“ (da er aufgibt seinen Geist). Beschwingt und weichgetönt erklingt das „Eja Mater fons amoris“ (Ach, Mutter, Quell der Liebe). Mit exzellent geblasenen Hörnern - gleichsam als Todesschauer und Rufer zum Jüngsten Gericht - eröffnet sich das „Quando corpus morietur“ (Wenn der Leib sterben wird). Auch wenn man textlich nicht allzuviel versteht – die Choristen wissen genau, wovon sie singen.
Um ihnen eine kleine Ruhepause zu gewähren, spielt das Orchester Giacomo Puccinis feinfühlige Streichermusik „I Crisantemi“, deren Blumentitel gleich einem Grabstrauß auf das einem Jedem bevorstehende Ende verweist. Den dunkel glühenden Duktus des Stücks treffen die Musiker leider nicht, denn sie gestatten sich kein Puccini''sches Schwelgen. So hört sich die an Wagners unendlicher Tristanmelodik orientierte Gefühlsklage gleichsam entsentimentalisiert an.
Nach diesem Interludium und seiner sozusagen mediterranen Lieblichkeit folgt Luigi Cherubinis Requiem c-Moll von 1816. Die schwermütige, wahrlich todesnahe, von geheimnisvollen Klängen der Vergänglichkeit erfüllte Musik entspricht dem Charakter einer Totenmesse kongenial. Auch hier hebt aus weicher, warmgetönter instrumentaler wie vokaler Tieflage die eindringliche Forderung des „Requiem aeternam“ (Gib ihnen die ewige Ruhe) an. Bis es jedoch soweit ist, müssen die Tage des Zorns („Dies irae“) mit ihrem Trompeten- und Posaunengetöse bewältigt werden. Der nachgerade Verdischen Durchschlagskraft sind die Mitwirkenden ganz nah. Bei allem Gespür für den operndramatischen Zuschnitt dieser Sequentia wird jedoch nirgends forciert. Man singt sauber, weiß Worte wie „Lacrimosa“ nicht bloß vorzutragen, sondern auszudeuten. Chor und Orchester finden jeder für sich und gemeinsam zu innerer Geschlossenheit, was der Dirigent enorm zu stimulieren versteht. Gebührend pompös breitet sich das Offertorium mit dem sehr innig angestimmten „Hostias“ aus, erhaben das „Sanctus et Benedictus“, flehentlich das „Pie Jesu“, fordernd und bittend zugleich das „Agnus Dei et Communio“. Ohne jegliche Ermüdungserscheinungen bewältigt der Chor seine anspruchsvollen Aufgaben voll innerer Spannung. Nach der eindringlichen Wiedergabe geht man in Stille auseinander.
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