Kultur: Seelentrost
Symphonic Soulounge im Nikolaisaal
Stand:
Wo die Seele liegt, das weiß man nicht. Irgendwo in der Brust, in der Nähe des Herzens. Man kann sie nicht finden, wohl aber mit Musik ansprechen. Und von allen Formen, die das Innere berühren, verschreibt sich der „Soul“ dem direktesten Wege. Erreicht der Soul die Seele, erheben sich die feinen Härchen auf den Armen, und ein Schauer jagt über den Rücken, wenn das Grummeln des Basses den Herzschlag übernommen hat. Daher ist Soulmusik eine reichlich intime Angelegenheit. Herzschmerz ist nun mal nicht teilbar.
Um so erstaunlicher, dass der Nikolaisaal den vier Seelentröstern von „Soulounge“ in seiner zweiten Eigenproduktion das vielköpfige Ensemble des Deutschen Filmorchesters Babelsberg an die Seite gestellt hat. Einen symphonischen Klangkörper mit Soul zu betrauen, klingt ungefähr so, als ob man mit einer Zentralheizung einem Lagerfeuer zu mehr Romantik verhelfen wollte. Dabei reicht zum Soul nur ein Bass, der ins Mark geht und eine Stimme, die ihr Leid unmittelbar ins Schmerzzentrum überträgt.
Aber Crossover bedeutet ja, mit dem Verschmelzen von Gegensätzlichem Spannung zu erzeugen: Und für den Nikolaisaal allergrößte Spannung. Hätten die empfangsbereiten Seelen im Publikum nur den ersten Teil des Programms gehört, sie wären womöglich vor Kälte erstarrt. Da stand die Kernband von „Soulounge“, Gitarrist und Kopf Sven Bünger, Schlagzeuger Bela Brauckmann, Bassistin Susanne Vogel und Keyboarder Gunter Papperitz so eingekreist von den Streichregistern, Bläsern, Harfe, Pauken und Schlagwerk, dass es schier erdrückend wirkte. Man fragte sich, wen die gläsernen Schallwände neben dem Schlagzeug schützen sollten. Die Geigen vor dem Drummer oder umgekehrt? Drei brennende Nachttischleuchten in der Mitte der Bühne hatten wohl die Funktion, Intimität zu simulieren. Soul in Regimentsstärke, zumal auch noch fünf Sängerinnen und ein Sänger – Johannes Oerding – mit dabei waren. Oerding sang den ersten Titel „How come you don’t call me“ so hoch wie weiß. Ein hysterisch klingender Falsettgesang, der gegen die mächtigen Filmsymphoniker an Volumen in den mittleren Lagen nicht bestehen konnte. Die Arrangements für das große Orchester, geschrieben von Peter Hinderthür, wirkten hier noch wie eine überflüssige Steppdecke im warmen Frühsommerbett. Irgendwann tirilierten die Flötengruppe, und, wenn es im Refrain tragisch wurde, ertönten dramatisch die Bläser. Dafür hielten sich hier die Musiker von „Soulounge“ akustisch und selbst gestisch sehr zurück. Wenn sie selbst von ihrem Soul ergriffen gewesen waren, verbargen sie ihre Gefühle professionell. Vor der Pause gab es nur eine Offenbarung. Die Sängerinnen Platnum, Grace, Esther Cowens und Astrid North, die alle reihum Stücke vortrugen, mögen gute Interpreten sein. Unter der Stimme von Nathalie Dorra jedoch verwandelte sich die Seele in ein trockenes Stück Parmesan, reif, zu Staub gehobelt zu werden.
„Soulounge“ hatte die weiteren Höhepunkte allesamt in die zweite Hälfte gelegt. Auch die streichzarten Klangteppiche, die Orchester-Dirigent Scott Lawton ausbreitete, ergaben plötzlich Sinn. So bei der von ursprünglich von Prince gesungenen Ballade „Sometimes it snows in April“, die Astrid North entrückend schön interpretierte. Hier zauberte das Orchester Tränen der Rührung in die Augenwinkel der Sängerin, die bis in die obersten Sitzreihen glitzerten und womöglich geteilt wurden. Der Soul war nun, kurz vor Schluss, doch über den Nikolaisaal gekommen.
Im Finale zog das Filmorchester alle Register und übernahm für einige opulente Momente ganz die Regie. Danach zeigte „Soulounge“ in der Mitklatschnummer „Higher“, dass ihre Musik auch ganz gut in kleiner Band-Besetzung funktioniert. Frenetischer Jubel und Standing Ovations. Die Seelen im Nikolaisaal waren, wenn nicht getröstet, so doch tief berührt.
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