
© Manfred Thomas
Von Almut Andreae: Sehnsucht, die Geschichten erzählt
„Fremd + Eigen“: Malerei von Dagmar Misselhorn in der SperlGalerie
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Schwer zu sagen, welche Bilder am Ende den stärkeren Eindruck hinterlassen: die rot-roten Kompositionen oder die, in denen ganze Geschichten aufscheinen. In denen Dinge beschrieben werden, die nicht so leicht zu fassen sind. Geheimnisvoll und verschlüsselt sind sie: Botschaften vom fernen Afrika und einer Welt, die uns weitgehend verborgen ist. Beide Bildwelten sind in einer Ausstellung vereinigt, ihr Titel: „Fremd + Eigen“. Dagmar Misselhorn, Künstlerin aus Niedersachsen, hat sie erdacht und für ihre zweite Personalausstellung in der SperlGalerie nach Potsdam gebracht.
Der Besucher der Galerie über dem Nikolaissaal wird bereits im Parterre mit einigen Kostproben der energievollen roten Bilder empfangen. Wer sie eingehender betrachtet, entdeckt in ihnen eine delikate Schichtung übereinander gelegter Farblasuren aus Öl und Eitempera. Vielstimmige Farbklänge aus Rot in Rot und Orange-Rot eröffnen sich dem Betrachterauge. In ihrer Machart zwar sehr miteinander verwandt, unterscheiden sich diese Arbeiten durch ihre jeweils ganz eigene Bildarchitektur. Malerei, die von Inhalten losgelöst ist, bildet in der Kunst von Dagmar Misselhorn einen Gegenpol zum Bereich des Erzählens. Momentan ist sie drauf und dran, diese, wie sie sagt, „Insel des Ungegenständlichen“ zu verlassen. Das Meditative der roten Bilder ist in dem Ausstellungsraum mit Kompositionen ganz in Blau und Grün noch vorhanden. Doch haben sich hier auch inhaltliche Untertöne in die Malerei gemischt.
In den distanzierter wirkenden Arbeiten begibt sich die Künstlerin in Landschaftsräume, in denen sie die Urgewalt von Wasser und Brandung fasziniert. In den drei Fassungen von „no-go-area“ verarbeitet sie das Unheil technischer Errungenschaften und menschlicher Zerstörung auf die Natur.
„Ich lasse die Geschichten wieder zu“, sagt Dagmar Misselhorn im Gespräch über ihre Ausstellung. Am deutlichsten spürbar wird das angesichts der Bilder, die über mehrere Jahre unter dem Eindruck verschiedener Reisen nach Westafrika entstanden. Die sieben Bilder gehören zu einem Werkzyklus mit dem Titel „Watchman’s nightmares. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ Wobei der schwarze Mann hier wohl eher sinnbildlich zu fassen ist als Inbegriff des Unbekannten, Fremden, das Ängste auslöst. Die Arbeit an diesem Zyklus, ist sich die Künstlerin sicher, wird sie noch länger beschäftigen. In Potsdam stellt sie ihn erstmals öffentlich aus.
Mit Afrika sind für die Malerin früheste Kindheitserinnerungen verbunden. In dem niedersächsischen Bauernhaus, in dem sie in den sechziger Jahren aufwuchs, gehörten Objekte westafrikanischer Stammeskulturen zur selbstverständlichen Umgebung. Die familiär bedingte frühe Vertrautheit mit Westafrika hat die Künstlerin für ihr Leben geprägt. Sehnsucht zieht sie immer wieder dorthin zurück. Das, was die Künstlerin von ihren Reisen an Themen und Eindrücken mitbringt, entwickelt in den Bildern ein Eigenleben. Die existentiellen Nöte und Konflikte des schwarzafrikanischen Kontinents fließen unmittelbar in deren Inhalte ein. Bei ihren Aufenthalten in Ghana und im Senegal erlebt Dagmar Misselhorn den Zwiespalt der Menschen zwischen Armut und rastlos fortschreitender Entwicklung der privilegierten westlichen Welt. Und doch sei Afrika sehr viel mehr als nur Elend, unterstreicht die Malerin im Wissen um das ungeheuer kreative Potential und die Begeisterungsfähigkeit der Menschen, auf die sie dort trifft. Deren tiefe Verwurzelung in der kulturellen Tradition integriert Misselhorn in ihre Bildsprache. Hierbei überträgt sie die charakteristische Schablonenmalerei der an der Elfenbeinküste lebenden Gbato-Senufo in ihre Kunst. Die so übernommenen figürlichen Motive zitieren das für unsere Augen exotische Bild-Vokabular einer fremden Kultur. Umgesetzt in Malerei und Collage fügen sich Schablonen und künstlerische Imagination zu ganz eigenen Erzählwelten.
Zum stillen Beobachter und Ruhepol wird in dem Bilderzyklus eine immer wiederkehrende, für die Künstlerin zentrale Figur. Auch sie verdankt ihre Existenz einem Schablonenmodul der Gbato-Senufo. Der Pfeifenraucher, die Hände lässig in die Hüften gestützt, verkörpert für Dagmar Misselhorn „den stillen, unaufgeregten und klugen Beobachter, einen Mann, der durch alle Zeiten gewandert ist, den nicht mehr viel überrascht“ Auch steht er für eine Kultur, die sich über die mündliche Überlieferung, über das Geschichtenerzählen fortpflanzt. Vielleicht bilden gerade seine Geschichten eine Brücke zwischen dem, was fremd ist und was eigen.
Bis zum 27. März in der SperlGalerie, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Geöffnet Mi-So 12-18 Uhr
Almut Andreae
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