
© Promo
Kultur: Sehnsucht nach dem unbekannten Vater
Eine getanzte Odyssee: Premiere im voll besetzten Montelinozelt auf dem Buga-Gelände
Stand:
Stellt man die richtigen Fragen, werden sogar die Geschichten aus grauer, weil vorsintflutlicher Zeit auf einmal modern. Zum Beispiel, ob ein bekannter Mann wie Odysseus seinen Ruhm nicht auf Kosten von Weib und Kind errungen haben könnte, in welchem Proporz also „heroische Bestimmung“ und Familienglück stehen, und was ein Sohn von einem weithin gerühmten Promi-Vater halten solle, den er von Angesicht nicht einmal kennt.
Homers „Odyssee“ erzählt nach dem Sieg über Troja davon, man muss die alten Texte nur zu lesen verstehen. Selten zuvor wurde ja die „heilige Familie“ so knallhart auf die Probe gestellt wie heute, in Zeiten von Patchwork-Beziehung und Genderismus. Ist nicht das Leben selbst eine Odyssee? Elf junge Leute aus dem Potsdamer Raum machten sich vor Monaten auf die Suche nach Antworten. Sie haben beim alten Homer angeklopft, haben seine Gedanken befragt, um sich dann doch für die 2006 entstandene Version des niederländischen Theaterautors Ad de Bont zu entscheiden. Ihre halb getanzte, halb gespielte Antwort feierte am Wochenende unter dem bezeichnenden Titel „Eine Odyssee“ im voll besetzten Montelinozelt auf dem Buga-Gelände eine fast frenetische Premiere. Regie (Gela Eichhorn) und Choreografie (Anja Kozik) hatten offenbar genau den Nerv des überwiegend jungen Publikums getroffen. Vielleicht lag das am Stoff, am „brandaktuellen Thema“ des vaterlosen Sohnes, vielleicht auch an der dichten Atmosphäre dieser aus Oben und Unten, aus Ernst und Heiterkeit so seltsam gemischten Inszenierung.
Die Irdischen spielten in heutiger Konfektion, der griechische Theaterolymp freilich durfte „richtige" Kostüme tragen, hübsche Idee. Poseidon (Friedrich Meckel, auch Antinoos) zum Beispiel, Zeus’ Widersacher im „Götterstreit“ um Troja, trat im schwarzen Schwimmeranzug an. Auch die Sprache war der heutigen angepasst. Wenn die goldgegürtete Athene (Almut Kowalski) also im Hause der wartenden Odysseus-Gattin Penelope (sehr elegant Agnes Wrazidlo) für Verwirrung sorgt und nun vor ihren Vater Zeus (Franz Feldtkeller) tritt, herrscht er sie auf der Zeltschaukel dergestalt an: „Athene, du hast mal wieder Sch... gebaut!“ Lacher im Publikum. Auch ihr wieselflinker Bruder Hermes (Aaron Smith) sorgte oft für Heiterkeit. Erzählt wird vom Heimweh des Helden unterwegs, vom allzu langen Warten auf seine Rückkehr daheim, und was der Olymp mit all dem zu tun hat. Freilich gewann man „unterwegs“ nicht nur einmal den Eindruck, als seien die himmlischen Szenen wirkungsvoller inszeniert als das Thema des Stückes, die Sehnsucht des Sohnes Telemach nach dem unbekannten Vater Odysseus. Ronny Lorenz und Birk Kowalski spielten zwar mit größtem Ernst, mit höchster Disziplin, doch mit zu geringer Anteilnahme an ihrer Rolle.
War das der Ästhetik einer Inszenierung geschuldet, die Tanzelemente (oft ein Wegstoßen und Zurückholen) ins Szenische einbaute, sich sonst aber auf „stehende Arrangements“ konzentrierte? Kraftvoller wirkten die Parts zwischen Penelope und Antinoos, der sie sehr männlich umwarb. Die Spielweise der 90-minütigen Vorstellung war unaufwendig, sehr direkt, meist auf das Wort gestellt. Freilich ersparte man dem Publikum den blutigen Schluss der Odyssee, das Metzeln von hundert Edlen Ithakas durch Vater und Sohn gemeinsam. Ist das nicht Antwort genug auf die selbst gestellten Fragen? Gerold Paul
Nächste Vorstellung: 28. August, 19 Uhr
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: