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INTERVIEW: „Sein Verhalten wird nachvollziehbar“
Annette Leo über ihre Strittmatter-Biografie, die sie heute in Potsdam vorstellt.
Stand:
Frau Leo, vor vier Jahren wurde bekannt, dass der Schriftsteller Erwin Strittmatter über seine Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg nie die Wahrheit gesagt hat. In Ihrer Strittmatter-Biografie schreiben Sie, dass Sie bei den damaligen Diskussionen „dieses erschütterte und zugleich resignierte Schweigen, in dem sehr viel gelebtes Leben mitschwang“, beobachtet haben. Was meinen Sie damit?
Es gibt sehr viele Menschen, die Strittmatter nicht nur als Schriftsteller verehrt, sondern sich auch mit der Person identifiziert haben. Die haben nicht mit Abwehr auf die Enthüllungen reagiert. Sie waren eher erschüttert und hatten das Gefühl, ihr Idol wird jetzt zerstört.
Darum Ihr Buch, das sich als eine „Annäherung an eine umstrittene Biographie“ versteht?
Mir ging es nicht darum, das bisherige Bild von Strittmatter durch ein anderes zu ersetzen. Ich wollte eher ein weiteres Bild danebenstellen, denn erst so lässt sich die ganze Komplexität einer Person und die Komplexität dieser Geschichte besser und vor allem differenzierter verstehen. Mir war von Anfang an klar, dass diese Geschichte einer Verstrickung die Geschichte einer ganzen Generation ist, die sich da in der Person von Erwin Strittmatter spiegelt.
Welches Bild haben Sie von Strittmatter gewonnen, was sein Verschweigen und Vertuschen betrifft?
Bis ins Letzte erklären kann man dieses Verschweigen natürlich nicht. Anhand der Briefe und Aufzeichnungen aus der Kriegszeit, die mir durch Strittmatters Söhne zur Verfügung gestellt wurden, und auch durch seine Aufzeichnungen für die SED-Kaderakte und aus Briefen und seinen Tagebüchern nach dem Krieg lässt sich sehr gut ablesen, wie sich so langsam sein eigenes Bild von dieser Vergangenheit verändert. Aber die Rahmenbedingungen dieses Schweigens müssen dabei immer mitgedacht werden.
Sie sprechen von der persönlichen Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit?
Eher Umgang als Auseinandersetzung, würde ich sagen. Sein Verhalten wird so nachvollziehbar. Am Anfang sind es Angst und Scham, die ihn zu gewissen Ausweichmanövern, kleineren Verschleierungs- und Vertuschungsaktionen an der eigenen Biografie verleiten, die dann mit der Zeit immer größere Ausmaße annehmen. Er hat das auch literarisch verarbeitet, um sich so eine tröstlichere Geschichte zu erschaffen, an die er am Ende wohl auch selbst geglaubt hat.
Hatte Strittmatter Schuldgefühle wegen seiner Verstrickungen im Krieg?
Ganz deutlich. Dazu hat er sich in seinen Tagebüchern geäußert. Vor allem im Zusammenhang mit seiner späteren Distanzierung von der SED-Politik. Denn da schreibt er, dass er sich anfangs aus Schuldgefühlen so sehr mit dieser Politik, mit dieser neuen Ideologie verbunden hatte und auf diese Weise etwas anders und vor allem besser machen wollte.
Und da spiegelt sich das Phänomen einer ganzen Generation, von dem Sie schon sprachen?
Ja, dieser Aufbau-Elan, diese unglaubliche Intensität einer ganzen Generation, sich mit dieser neuen Ideologie zu identifizieren, das speiste sich hochgradig aus den Kriegserfahrungen.
Wie schuldig ist Strittmatter im Zweiten Weltkrieg geworden? War er, der immer behauptet hat, nie einen Schuss abgegeben zu haben, vielleicht sogar ein Täter?
Zumindest hat er in einer Formation von Tätern gedient. Die Kriegsverbrechen, die diese Formation, also das Polizeibataillon 325 und später das Polizeigebirgsjägerregiment 18, eine Eliteeinheit für den Kampf gegen Partisanen, in Slowenien und Griechenland begangen haben, lassen sich heute weitgehend rekonstruieren. Aber inwieweit er persönlich an diesen Taten beteiligt war, das lässt sich nur vermuten.
Wie groß ist der Schatten, der dieses Verschweigen, dieses Manipulieren auf das Gesamtwerk von Erwin Strittmatter wirft?
Ich finde nicht, dass das einen Schatten auf sein Werk wirft. Es fällt eher ein ganz neues Licht darauf, neue Facetten werden sichtbar. Und vielleicht werden jetzt auch Leser mit dem Wissen um diese Biografie die Beschreibungen des Krieges in Strittmatters Werken anders lesen. Vielleicht werden sie dann, wie auch ich während meiner Auseinandersetzung, Spuren und Reste dieser traumatischen Erfahrungen finden, die dort wie verkapselt enthalten sind.
Welche Bedeutung hat der Schriftsteller Strittmatter heute überhaupt noch?
Er war ein großer Schriftsteller, der sein Publikum mit vielen Romanwerken bezaubert und über das Ende der DDR hinaus seine Wirkungskraft behalten hat, dem es auch gelungen ist, durch die „Der Laden“-Verfilmung in der Bundesrepublik Freunde und Leser zu finden.
Also kein Schriftsteller, dessen Popularität sich nur auf eine bestimmte Region und eine bestimmte Generation von Lesern beschränkt?
Das kann man bisher noch gar nicht so sagen. Zu meinen Lesungen kommen zwar vorwiegend ältere Leute. Aber es ist gut möglich, dass sein Werk von einer jüngeren Generation wiederentdeckt wird, wie es beispielsweise auch bei Hermann Hesse der Fall war. Was das Regionale betrifft, bezieht seine Literatur sicher die Kraft aus seiner Verbundenheit zu einer bestimmten Region. Aber trotzdem erzählt er universelle Geschichten, die auch Leser ansprechen, die nicht unbedingt mit der Lausitz verbunden sind.
Hat sich das Verschweigen seiner Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg vielleicht auch auf die Persönlichkeit Strittmatters ausgewirkt? Wer Ihre Biografie gelesen hat, erkennt in ihm einen sehr schwierigen Menschen, auch im Umgang mit seiner Familie.
Das ist eine Frage, mit der ich sehr vorsichtig umgehen möchte. Natürlich habe ich mir auch diese Frage gestellt und sie mit seinen Söhnen diskutiert. Klar ist, in einem wesentlichen Punkt seiner eigenen Vergangenheit hat er kein ehrliches Verhältnis zu sich selbst gehabt. Aber ob das allein bestimmte spätere Verhaltensweisen erklärt, das wäre zu viel Psychologie. Aber ein solcher Zwiespalt, eine solche innere Zerrissenheit ist schon immer eine Quelle von Kunst gewesen. Das ist oft eine ganz starke Antriebskraft zum Schreiben oder zum Malen oder zum Komponieren.
Wie reagieren die Menschen bei Ihren Lesungen aus Ihrer Strittmatter-Biografie?
Sehr aufgeschlossen. Bisher habe ich nur im Osten gelesen, also dort, wo er am populärsten gewesen ist. Und da sitzen mir die Leute gegenüber, die meist begeisterte Leser seiner Werke sind. Das resignierte Schweigen, das ich noch vor vier Jahren beobachtet habe, das hat sich in ein sehr nachdenkliches Annehmen der Geschichte gewandelt. Abwehr und Empören haben meist etwas mit der Verteidigung der eigenen Lebensgeschichte zu tun. Die Leute jedoch sehen ihren Autor kritisch, sie versuchen sich sein Verhalten zu erklären. Und gleichzeitig machen sie aber deutlich, dass sie an seiner Literatur und der Geltung dieser Literatur unbedingt festhalten werden. Das hat mich beeindruckt.
Spüren Sie da ein gewachsenes Selbstbewusstsein?
Ja, das ist offensichtlich so. Da ist nichts zu spüren von einem Gefühl, dass die Menschen glauben, es geht darum, sie und ihre Geschichte abzuwerten. Sie wollen ihre eigene Geschichte verstehen und sind dabei selbstbewusst und sensibel.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Annette Leo liest aus „Erwin Strittmatter. Die Biographie“ (Aufbau-Verlag, 24,99 Euro) am heutigen Dienstag, 18 Uhr, in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, Heinrich-Mann-Allee 107, Haus 17. Der Eintritt ist frei
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