
© M. Thomas
Kultur: Sex zieht immer
Premiere von „Mann und Frau intim“ im Obelisk
Stand:
Man wollte sie nur ungern von der Bühne lassen, die Leiterin der Sexualberatungs-GmbH und ihren musikalisch-wissenschaftlichen Assistenten. Unter anhaltendem Applaus, von etlichen Gratulanten gedrückt, mit Blumensträußen und glitzerbunt verpackten Geschenken überhäuft, sahen Andrea Meissner und Helmut Fensch am Ende ihres neuen Programms „Mann und Frau intim“, das am Freitagabend im ausverkauften Obelisk Premiere feierte, beinahe aus wie zwei Geburtstagskinder. Glücklich, mit strahlenden Gesichtern und ebenso wenig erschöpft wie ihr scheinbar unersättliches Publikum, welches sich als zweite Zugabe nochmals gern zu einem kollektiven Orgasmusstöhnen animieren ließ.
Angefangen hatte alles ohne Vorspiel. Kaum standen die beiden Kabarettisten auf der Bühne, um die Handlungsabläufe im täglichen Leben zwischen Mann und Frau zu untersuchen, hatte Andrea Meissner mit Sätzen wie „Starren sie nicht so auf meine Bouletten!“ oder „Ihre Hose spannt ja!“ auch schon unter den Gästen ihre Lieblingsopfer ausgespäht, derweil Helmut Fensch, im gediegenen Altrocker-Outfit, gekonnt auf seiner Gitarre, im rasch einsetzenden Reigen verballhornter Hits, ein ums andere Mal den Einheizer gab. Beeindruckend, wie schnell der Saal brodelte; welch großartiges Publikum. Es wurde stets mitgeklatscht, mitgesungen, sich auf die Schenkel geklopft, gegackert, gegrölt, gejubelt. Denn oft genug fielen die beiden Sexualkundler aus ihrem wissenschaftlichen Rahmen, schlüpften sie selbst in diverse Rollen, mit denen sie die Problemfacetten im Geschlechtsleben inner- und außerhalb verschiedener Beziehungsmodelle demonstrierten und irregeleitete oder erleuchtende Techniken der Lustoptimierung ausloteten.
Als Leitfaden diente das von Fensch stolz in die Runde gezeigte meistgeklaute Buch der DDR: „Mann und Frau intim“ von Aufklärungsguru Siegfried Schnabl, dessen Fazit, der Sex im Osten sei besser gewesen als im Westen, leichte Trauer aufkommen ließ, denn immerhin sei das ja schon 25Jahre her, so Meissner. Heute müsse sie sich ihre Liebschaften im WorldWideWeb suchen, wo alles körperlos und anonym bleibe und ihr ein Unbekannter nur seine „kleine Eisenbahn“ zeigen wolle. Wen wunderte es, dass die frustrierte Ehefrau im schwarzen weißgepunkteten Petticoat sich da lieber mit ihrer von Fensch im Hausfrauenlook verkörperten Freundin Hildegard in der Swinger-Oase traf, natürlich nur „zum Gucken“. Aber auch Alkohol oder andere Stimulanzmittel schafften Abhilfe. Und so konnte man sich daran ergötzen, wie sich Andrea Meissner auf dem Schoß von Helmut Fensch räkelte und mit allerdings begnadeter Stimme ein Sauflied sang oder wie Katja Ebsteins Hit „Theater“ zu „Viagra, Viagra“ mutierte und dazu Bonbons in die Menge geschmissen wurden. Szene für Szene war es ein Fest, die Meissner in Aktion zu erleben und ihre hinreißende Bühnepräsenz zu genießen. Daneben verblasste Fensch nun aber keinesfalls. Im Gegenteil: Wie hübsch sauertöpfisch der lange Lulatsch dreinblicken konnte, weil er sich Angela Merkel nicht beim Sex vorstellen mochte, wie betroffen er den sexuellen Leistungsdruck der Männer beklagte, wie er das Singledasein schönredete und wie trocken und selbstironisch er hie und da Bauarbeiterwitze raushauen konnte, das war einfach famos und besaß einen umwerfenden Charme.
So ergänzten sich die beiden und harmonierten nahezu perfekt miteinander. Und nach gut zwei Stunden der mit einem verunglückten Zungenkuss beendeten Exkurse in das Abenteuerland der partnerschaftlichen Zwistigkeiten kamen die zwei Sexualkundler statt zu spröden Patentrezepten zu der lebensnahen schönen Weisheit, dass es in dieser zerfaserten Welt der einzige Akt der Rebellion ist, eine Familie zu gründen und Kinder zu zeugen. Daniel Flügel
Wieder am heutigen Dienstag und morgigen Mittwoch, jeweils um 19.30Uhr, im Kabarett Obelisk, Charlottenstraße 31
Daniel Flügel
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