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Von Almut Andreae: Showtime, Kunst und Boogie Woogie

Betrachten, Hören, Schmecken und Genießen – Die 4. Potsdamer Kunst-Genuss-Tour

Stand:

Wippende Füße, zuckende Knie. Der Mann am weißen Klavier und seine Jungs vom Otto Hamborgs Connexion Project heizen dem Publikum ordentlich ein. Boogie Woogie und Rock’n’Roll fahren auch den älteren Recken tüchtig in die Glieder. Am Abend der 4. Kunst-Genuss-Tour wird der „art+life-shop“ im „museum Fluxus+“ zum brodelnden Tanzboden. Je später der Abend, desto doller die Gäste: zwischen Glasvitrinen und Bistrotischchen gibt es zur vorgerückten Stunde kein Halten mehr. Die aktuelle Ausstellung im unmittelbar angrenzenden Atrium tritt da ganz in den Hintergrund. Der Multimedia-Künstler Costantino Ciervo hat in einer neueren Arbeit zum Thema „Perversion der Zeichen“ farbige Zuckerschrift ableckende Zungen gefilmt. Diese sich in einer Endlosschleife geduldig öffnenden und schluckenden Gesichtsausschnitte bleiben – wen wundert es – angesichts der sich nebenan ausbreitenden dionysischen Lebenslust unter sich.

Auf der anderen Seite des Schirrhofs hat die ultrajunge Jazzformation „Monkey Art“ ihr bestes Pulver bereits verschossen. Mit Fusion-Jazz und Loungemusik umschmeichelt das Trio an Schlagzeug, Keyboard und Rechner die Trommelfelle der wenigen noch verbliebenen Zuhörer. Der Schirrhof, dem an diesem milden Spätsommerabend ein anderes Ambiente als das ungastliche Parkplatzszenario zu wünschen gewesen wäre, hüllt sich derweil in betretenes Schweigen. Die gleichzeitig stattfindende Erzählnacht im T-Werk und gleich drei musikalische Life-Acts im unmittelbaren Dunstkreis lassen sich schlechterdings nicht so leicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Auch nicht, wenn Jazz-Festival und Kunst-Genuss-Tour am Samstagabend erstmalig gemeinsame Schnittmengen bilden.

Was bei der vierten Tour zweifellos besser gelingt als in den Jahren zuvor ist die gezielte Ansteuerung nicht unmittelbar im Stadtzentrum gelegener Kunst-Genuss-Orte per Busshuttle. Davon profitieren Orte wie die Galerie Kunst-Kontor in der Bertinistraße, wo die Besucher abgestimmt auf die exquisite Schwarzweißfotografie von Barbara Klemm im Rahmen der Ausstellung „Landschaften und Künstlerporträts“ das passende Catering erwartet und noch dazu groovige Musik der jungen Jazz- und Soulband „fOSBURY fLOP“. Im Kunsthaus Potsdam am Ulanenweg entrückt und bestrickt die Akkordeonspielerin Melanie Barth ihr Publikum auf einem Klangteppich von Tango und französischer Musik. Sie öffnet Aug und Sinne, um sich in die gemalten Wasserspiegelungen von Bernd Zimmer hineinzuträumen. Farbvirtuos und sensibel stellt er in seinen Bildern die schwierige Gratwanderung zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion unter Beweis.

Geballte Kunstsinnigkeit tut sich wie immer im Luisenforum auf. Ein Kette rot flackernder Lichtlein weist den auch ortsunkundigen Besuchern den Weg, wo an diesem Abend mehrfach herrliche Saxophonmusik erklingt von George Maclean und Partner oder dorthin, wo eine weitere handsignierte Edition unwiderstehlich schöner Kunstkekse aus der jüngsten Produktion des Neuen Atelierhaus Panzerhalle e.V. feilgeboten wird. Für weitere Highlights sorgen die an diesem Abend kurz nacheinander eröffneten Ausstellungen im Brandenburgischen Kunstverein (mit 60 „tablotins“ – kleine Bild- und Textcollagen – und Videoarbeiten der französischen Künstlerin Joëlle de La Casinière) und in der Galerie Art Market. Hier gewährt im Rahmen einer Einzelausstellung mit Menno Veldhuis der in Potsdam lebende Maler Einblick in Themen, die ihn ganz privat beschäftigen. Neben expressiven Selbstporträts offenbart der temperamentvolle Niederländer in einer Reihe meditativer Fensterbilder so etwas wie ein „Rothko-Gefühl“, in jedem Falle aber eine überraschend introvertierte Seite.

Wer die im Rahmen der Vernissage zu erlebende Life-Performance und die holländischen Konjunkturpaketchen als Aperitif nicht verpassen wollte, musste gleich zu Beginn des Abends hier sein. Wo man was wann am besten genießt, ist im Laufe des reichhaltigen Kunst-Genuss-Angebots von 18 bis 24 Uhr vor allem eine Frage des richtigen Timings und nicht zuletzt des persönlichen Geschmacks. Hin- und hergerissen zwischen Apfeltörtchen mit Ziegenkäse und lukullischen Verführungen auf der Basis von Curry-Koriander-Kokos, dargeboten in der Produzentengalerie M, wird so mancher irgendwann im Laufe des Abends wohl auch am Alten Rathaus angekommen sein. Hier trifft man im Rahmen der Ausstellung zum Leben und Werk von Gertrude Sandmann auf Musik und Fotoprojektionen aus der Zeit der Golden Twenties. Inspiriert von den Modezeichnungen der jüdischen Grafikerin aus den 20er und 30er Jahren animieren Tanzeinlagen in der passenden Klamotte und schmissiger Swing zu ausgelassener Stimmung. Zusammen mit Musik wirkt Kunst-Genuss einfach am intensivsten.

Almut Andreae

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