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ZUR PERSON: Sie als Mensch sehen

Heute stellt Jutta Ditfurth in Potsdam ihre Biografie über die RAF-Mitgründerin Ulrike Meinhof vor

Stand:

Frau Ditfurth, das vergangene Jahr war ein regelrechtes RAF-Jahr. Der Spiegel hat in einer Serie über mehrere Ausgaben versucht, die Geschichte der Roten Armee Fraktion und vom Deutschen Herbst nachzuzeichnen. Zahlreiche Bücher sind zum Thema erschienen, darunter im November auch Ihre Biografie über Ulrike Meinhof. In Sachen RAF und hier vor allem über Baader, Ensslin und Meinhof ist doch eigentlich schon alles gesagt. Warum haben Sie sechs Jahre in diese Biografie investiert?

Der Deutsche Herbst, der im vergangenen Jahr „gefeiert“ wurde, war 1977 und da war Ulrike Meinhof schon ein Jahr tot. In den 90er Jahren, als ich eine Biografie über Rudi Dutschke an einen Verlag vermittelte, habe ich festgestellt, dass es viele gute Bücher über Dutschke gibt, aber keine umfassende und quellengestützte Biografie über die „Staatsfeindin Nummer 1“ Ulrike Meinhof.

Aber es gibt doch Literatur über Ulrike Meinhof, eine der Mitgründerin der RAF?

Es gibt ein paar biografische Texte. Aber fast alle Autoren schöpfen aus drei sehr giftigen Quellen, wenn sie über Meinhof schreiben. Und andere schreiben dann davon wieder ab. Seit mehr als 30 Jahren. Niemand hat je grundlegend geforscht. Zu diesen giftigen Quellen gehören unsägliche Machwerke von Meinhofs Ex-Ehemann Klaus Rainer Röhl. Die zweite trübe Quelle ist Meinhofs Pflegemutter Renate Riemeck, die vielen als die perfekte Zeitzeugin gegolten hat, weil sie angeblich eine so tapfere und fortschrittliche Frau war.

In Ihrer Biografie über Ulrike Meinhof zeichnen Sie ein ganz anderes Bild von Renate Riemeck.

Ich habe bei meinen Recherchen, auch zu meiner eigenen Überraschung, herausgefunden, dass Renate Riemeck in der Nazi-Zeit Karriere gemacht hat und es erfolgreich geschafft hat, auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Karriere zu machen, weil sie gleich zweimal ihre Entnazifizierungsunterlagen gefälscht hat.

Und die dritte, wie Sie es nennen, giftige Quelle?

Das sind bestimmte Akten des Bundeskriminalamtes, vor allem die Aussagen der beiden RAFler und Kronzeugen Gerhard Müller und Karl-Heinz Ruhland. Müller war 1972 zusammen mit Ulrike Meinhof verhaftet worden. Müller und Ruhland hatten ein großes Interesse, sich dem Amt anzudienen.

Was aber noch kein Grund sein muss, an ihren Aussagen zu zweifeln.

Dem Richter von Karl Heinz Ruhland fiel auf, dass dessen Aussagen beim BKA „eingeübt“ waren. Der Presse erschien die Vernehmung „als bespreche ein netter Lehrer mit einem sympathischen Schüler ein längst bekanntes Stück“. Das Ausmaß von Faulheit und schlampiger Arbeit im Fall Meinhof, eingeschlossen Stefan Austs „Der Baader-Meinhof-Komplex“, ist so groß, wie ich es in meiner historischen Arbeit bisher noch nicht erlebt habe.

Sie gehen hart ins Gericht mit Stefan Aust, dessen Buch für viele noch als Standardwerk gilt.

Nur ein Beispiel: Stefan Aust schreibt, dass Ulrike Meinhofs Vater ein tapferer, christlicher Widerständler war. Mit einer einzigen Anfrage beim Bundesarchiv habe ich herausbekommen, dass ihr Vater Werner Meinhof sehr früh in die Nationalsozialistische Partei eingetreten ist. Daraufhin habe ich seine Personalakten und andere Dokumente der Familie eingesehen und dabei herausgefunden, dass die gesamte Familie Meinhof nicht nur Mitläufer sondern glühende Vorreiter der NS-Bewegung war. Und: Aust verharmlost noch heute auf eine gewisse Weise Ulrike Meinhof, weil er behauptet, sie sei bei der Befreiung von Andreas Baader, als tollpatschige Frau, gleichsam aus dem Fenster in die RAF gestolpert.

Dem widersprechen Sie vehement.

Fakt ist, Ulrike Meinhof hat die Befreiung Wochen vorher mitgeplant und sie hat Wochen vorher schon geplant, in den Untergrund zu gehen und den bewaffneten Kampf aufzunehmen sowie eine Stadtguerilla zu gründen.

Sie widersprechen auch Austs Darstellungen, dass Ulrike Meinhof im Gefängnis, während des sogenannten Stammheim-Prozesses, an einen Ausstieg aus der RAF gedacht haben soll.

Alle Quellen, alle Zeitzeugen, alle Anwalts- und Justizakten, alle Briefe belegen, dass Ulrike Meinhof zu diesem Zeitpunkt fester in der RAF war als je zuvor und sogar deren neue Kampagne gegen den Vietnamkrieg plante, hinter der die anderen RAFler standen. Stefan Aust will sie heute als Opfer der RAF, als Opfer eines bösen, aggressiven Streits mit Gudrun Ensslin hinstellen. Tatsächlich hat Meinhof noch am Tag ihres Todes mit neuem Elan an dieser Kampagne gearbeitet. Aber sofort nachdem man Ulrike Meinhof aufgehängt in ihrer Zelle fand, verbreitete die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Meldung, Ulrike Meinhof habe Selbstmord begangen, weil sie sich mit Gudrun Ensslin gestritten habe.

Aber diesen Streit hat es doch gegeben?

Ja. Die beiden Frauen hatten wirklich ihren grässlichen Streit, der auch den Haftbedingungen geschuldet war. Aber Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof hatten diesen Streit in Briefen reflektiert und hinter sich gebracht. Wie kann dann dieser Streit vier Monate später der Anlass für ihren Selbstmord gewesen sein?

Warum wird dieses offensichtlich falsche Bild von Ulrike Meinhof gezeichnet?

Es gibt immer wieder den Versuch, Ulrike Meinhof einerseits zu entpolitisieren und zu verkitschen und andererseits zu brutalisieren und zu entmenschlichen. Aber man muss sie als das kritisieren, was sie war. Sie hat die RAF mitgegründet, sie hat den bewaffneten Kampf mitbeschlossen und sie ist bis zum Schluss nicht von dieser Linie abgewichen. Ich habe in sechs Jahren nicht den kleinsten Hinweis gefunden, dass sie sich von der Gruppe distanziert.

Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Sieht man mal davon ab, dass Sie so viel recherchieren mussten, was war für Sie der Antrieb, so viel Zeit und Energie in diese Biografie zu investieren?

Ich wollte einfach verstehen, wer Ulrike Meinhof wirklich war. Aber in Deutschland wird ganz oft verstehen mit akzeptieren verwechselt. Der zweite Reiz war die mit ihrer Lebensgeschichte verbundene Geschichte dieses Landes. Meine Biografie zeigt unter anderem, dass Ulrike Meinhof weit mehr, als bisher bekannt, eine Vorreiterin der APO war. Die APO war die Außerparlamentarische Opposition, die aus Studenten, Schülern, Lehrlingen und Jungarbeitern bestand und 1967/68 gegen den Vietnamkrieg und den Muff in der Gesellschaft protestierte. Seit Mitte der 1950er war sie politisch aktiv. 12 Jahre später kam erst die APO. Viele APO-Aktivisten waren mit Meinhofs Texten politisiert worden. Und erst 1970 wurde sie zur Mitgründerin der ersten Generation der RAF. Ulrike Meinhof wurde in einer Zeit politisiert, die heute fast völlig im Schatten von 1968 steht. Das war die Zeit der Jugendbewegung und -revolten der 50er Jahre.

Bisher gab es meist nur Versuche und Andeutungen über die Motive von Ulrike Meinhof für ihre Radikalisierung. Können Sie jetzt sagen, warum Ulrike Meinhof, eine Mutter von zwei Kindern, so weit gegangen ist?

Man muss natürlich aufpassen, nicht anmaßend zu werden. Aber ich glaube, ich habe es begriffen. Sie hatte das Pech, in einem Deutschland aufzuwachsen, wo schon mildere Formen des Protestes, siehe die 1950er und 1960er Jahre, als Verbrechen galten. Sie hatte 15 Jahre voller Niederlagen hinter sich, bevor sie die RAF gründete. Wer in ihrer Generation politisch aktiv war, hatte 14 Jahre lang, über Wiederbewaffnung, Nato-Beitritt, Atomwaffen, KPD-Verbot, Notstandsgesetze, Algerienkrieg und den Koreakrieg bis 1967 nur Niederlagen erfahren. Als 1968 ein Mordanschlag auf ihren liebsten und besten Freund Rudi Dutschke, wie sie ihn nannte, stattfand, war dies eine weitere Etappe auf dem Weg zur RAF. Die RAF wollte dann 1970 den Unterdrückten durch Eskalation die wahren Verhältnisse zeigen und sie dazu bringen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Ein bewaffneter Kampf aber, der auch den Tod von Menschen in Kauf nahm.

Am Anfang ging es gar nicht darum, Menschen zu erschießen. Am Anfang haben sie sich bewaffnet, weil sie der Meinung waren: Wenn wir eine Bank überfallen und das ohne Knarre, nimmt uns sowieso keiner Ernst. Die Baader-Befreiung im Mai 1970 wurde am gleichen Tag in vielen Westberliner WGs und Kneipen noch gefeiert! Auch bei den Bankrauben dachten viele mit Bert Brecht, dass eine Bankgründung schlimmer sei. Erst mit den ersten Toten kam ein Bruch. Den großen Bruch gab es dann mit der Entführung der Lufthansa-Maschine nach Mogadischu 1977. Aber da war Ulrike Meinhof schon ein Jahr tot.

Wie erklären Sie sich dieses noch immer starke Interesse an dem Thema RAF?

Weil es nicht wirklich bearbeitet wurde. Weil seit 30 Jahren eine Handvoll immer gleicher Zeitzeugen, die oftmals wie der ehemalige RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock reden, was einige hören wollen. Das hat dazu geführt, dass viele andere, die viel mehr zu sagen hatten, 30 Jahre lang geschwiegen haben. Ich hatte das große Glück, mit einigen dieser Menschen zu reden. Obwohl die wussten, wie kritisch ich als undogmatische Linke zur RAF stehe. Aber sie wussten auch, dass ich nicht lüge und keine Quellen manipuliere. So habe ich Zeitzeugen gefunden, die bis dahin noch nie über das Thema gesprochen hatten. Dabei habe ich erst einmal erkannt, wie viel da eigentlich noch brach liegt. Da gibt es noch so viele Geschichten.

Was bei der Beschäftigung mit der RAF auffällt, ist die hauptsächliche Konzentration auf die Täter. Läuft man hier nicht Gefahr, eine gewisse Romantisierung zu betreiben?

Da stimme ich überhaupt nicht mit Ihnen überein. Ich weiß, dass dies im vergangenen Jahr furchtbar gern behauptet wurde. Es gab schon in den 80er Jahren immer wieder Diskussionen darüber. Auch in RAF-Kreisen haben viele in Büchern oder Texten längst darüber nachgedacht, wie sie heute als Täter die Opferseite sehen.

Sie haben gerade ein Manuskript an den Verlag gegeben. Geht es in Ihrem neuen Buch wieder um die RAF?

Nein. Auch meine Biografie über Ulrike Meinhof ist kein RAF-Buch, denn es erklärt nur die Anfänge der Roten Armee Fraktion und das als letzte Phase einer Lebensgeschichte. Das neue Buch heißt „Rudi und Ulrike – Geschichte einer Freundschaft“ in der ich mich nur auf Ulrike Meinhof und Rudi Dutschke in der Zeit von 1967 bis 1969 konzentriere. Es war ein glücklicher Moment in der Recherche, als ich auf diese weitgehend unbekannte Freundschaft stieß. Die beiden waren die populärsten Protagonisten der 68er Bewegung. Das Buch erscheint zur Leipziger Buchmesse und soll Anfang April in den Handel kommen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Jutta Ditfurth liest heute, ab 20 Uhr, in der Schinkelhalle, Schiffbauergasse, aus „Ulrike Meinhof. Die Biografie“. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 4 Euro.

Jutta Ditfurth (56) ist Politikerin, Journalistin, Autorin und Sozialwissenschaftlerin. Sie lebt in Frankfurt (Main).

Jutta Ditfurth ist seit Anfang der siebziger Jahre in der undogmatischen Linken, in der Frauenbewegung und vor allem in der Anti-AKW-Bewegung politisch aktiv. 1978 war sie Mitbegründerin der Grünen Liste Wählerinitiative für Demokratie und Umweltschutz und 1979/1980 Mitbegründerin der Grünen. Von 1984 bis 1988 war sie deren Bundesvorsitzende. Im April 1991 folgte der Austritt aus den Grünen, weil die Partei sich in der Bundespolitik immer stärker von den ursprünglichen Zielen entfernt hatte. Jutta Ditfurth gründete daraufhin die Ökologischen Linken mit.

Seit 2001 ist Jutta Ditfurth Mitglied in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung für die Fraktion ÖkoLinX-Antirassistische Liste. Neben der Ulrike-Meinhof-Biografie hat sie unter anderem den historischen Roman „Die Himmelstürmerin“ geschrieben.

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