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Unerschrocken. Carmen-Maja Antoni als Brechts „Mutter Courage“ am Berliner Ensemble in der Inszenierung von Claus Peymann.

© dpa/Claudia Esch-Kenkel

Kultur: Sie bringt das Licht

Carmen-Maja Antoni ist 70. In Potsdam feierte sie 1966 ihren Durchbruch.

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Michael Haneke bringt es auf den Punkt. „Das war eine sehr wichtige kleine Szene“, soll er Carmen-Maja Antoni für ihren Kurzauftritt als Leichenwäscherin in seinem Film „Das weiße Band“ gelobt haben. „Sicher zu klein für Sie, aber sehr gut – Sie verstehen mich?“

Und ob die Antoni verstand! Sehr viele kleine, ein paar mittlere und selten große Filmrollen habe sie gespielt, erzählt sie in ihrer Autobiografie „Im Leben gibt es keine Proben“: „Schon bei der Defa entsprach ich nicht dem Frauenbild der Regisseure.“ Selbstmitleidig klingt die Antoni dabei kein bisschen. Im Gegenteil: „Ich nenne es meine Lichter-Karriere“, fährt sie geradezu vergnügt fort, „weil jede Figur leuchtete.“

Am gestrigen Sonntag feierte Carmen-Maja Antoni ihren 70. Geburtstag. Und tatsächlich leuchtet sie, zum Beispiel als „Mutter Courage“ aus Claus Peymanns Inszenierung am Berliner Ensemble, regelrecht heraus. Ihr unsentimentales und dabei zig Tiefennuancen ansprechendes Spiel ist von derart zeitloser Zeitgenossenschaft, dass man über den Retro-Regiestil des Hausherren locker hinwegsieht.

Brecht-Figuren und Carmen-Maja Antoni, das ist ein ganz besonderes Verhältnis. Ihren Bühnendurchbruch feierte die damals 21-Jährige 1966 am Potsdamer Hans Otto Theater im „Kaukasischen Kreidekreis“ als bis dato jüngste Grusche überhaupt. „Ich könnt’ dich brauchen“, meinte die aus der Hauptstadt angereiste Brecht-Witwe Helene Weigel, damals Intendantin des Berliner Ensembles, nach der Vorstellung begeistert.

Es sollte dann zwar noch neun Jahre dauern, bis Carmen-Maja Antoni tatsächlich ans BE ging; ihr Stammtheater, wo sie, von 1975 bis 2013 als festes Ensemblemitglied, nicht nur diverse Intendantenwechsel überdauerte, sondern auch die künstlerisch schwierigen Nach-Mauerfall-Jahre. Aber auch vor ihrer BE-Zeit traf man die Schauspielerin dort, wo Theatergeschichte geschrieben wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen redet sie nur nicht ständig darüber.

Im Fall des Potsdamer Hans Otto Theaters etwa machten bereits die täglichen Zuganfahrten aus Berlin dem eigentlichen Bühnengeschehen Konkurrenz. Zusammen mit Kollegen wie Jürgen Gosch oder Thomas Langhoff, die ebenfalls in Berlin wohnten, vertrieb sich Antoni den Pendelweg zur Arbeit nicht nur mit Ästhetikdebatten, sondern auch mit Schachturnieren, Skatkursen sowie im Winter unabdingbaren „Wärmfläschchen mit Adlershofer Wodka“.

Später, als Ensemblemitglied der Volksbühne unter Benno Besson, trank sie mit Heiner Müller Whisky, diskutierte mit Christoph Hein, mit dem sie bis heute eine enge Freundschaft verbindet, Stückentwürfe oder lauschte mit Besson in Giorgio Strehlers Mailänder Wohnzimmer Milva, die eigens für die Volksbühnen-Gäste Brecht-Songs intonierte.

Zwar ist Carmen-Maja Antoni mit ihren 1,52 Meter Körpergröße praktisch überall, wo sie hinkommt, die Kleinste, dafür aber auch oft die Erste.

Schon als Elfjährige hielt die in Berlin geborene Tochter eines Kunstmalers und einer Allroundkünstlerin die notorisch klamme Familie mit Auftritten in Fernsehfilmen und im Kinderkabarett über Wasser. An der Potsdamer Hochschule für Filmkunst, wo sie 1962 ihr Schauspielstudium begann, gehörte sie zu den Jüngsten.

Avantgardistisch statt larmoyant begegnet La Antoni, die mal sagte, sie habe im Beruf „immer gegen ihr Gesicht ankämpfen“ müssen, stes der besagten Schräglage zum klassischen Regisseurs-Frauenbild. Ost-Kinder verehrten sie in den Siebzigern als hinreißend buckligen „Zwerg Nase“ im Defa-Märchenfilm. Deshalb ist es auch alles andere als uneigennützig, der Schauspielerin zum 70. noch eine lange Bühnen- und Filmkarriere zu wünschen: Unverkrampfte Widerborstigkeit und instinktive Skepsis gegen das Glattgebürstete, das braucht man jetzt nötiger denn je. Christine Wahl

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