Kultur: „Sie sind wohl sehr berühmt?“
Erfolg für Barzens Komödie „Mögliche Begegnung“ zwischen Bach und Händel im Nikolaisaal
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Erfolg für Barzens Komödie „Mögliche Begegnung“ zwischen Bach und Händel im Nikolaisaal Von Peter Buske „Musik ist keine Wissenschaft, Musik ist ein Geschäft“, verkündet der weltläufige Georg Friedrich Händel. Auch, dass er keine Opern mehr schreibe. „Oratorien sind billig, die kommen gut an.“ Sein Gesprächs- und Dinerpartner Johann Sebastian Bach zeigt sich eher skeptisch und verneint gleichartige Betätigung. „Sie schreiben keine Oratorien“, fragt verwundert der Lebemann den eher zurückhaltenden und in sich ruhenden Thomaskantor. „Und wovon leben Sie dann?!“ Herrlich, wie die beiden Alten, die laut literarischer Vorlage zu dieser „Möglichen Begegnung“ im Leipziger „Thüringer Hof“ die Sechzig bereits überschritten haben, sich die köstlichsten Wortgefechte liefern und deftigst beleidigen. „Sie sind wohl sehr berühmt - hier in dieser Gegend?“, giftet Händel. Bach lächelt nur weise. Zwei Lebens- und Weltanschauungen prallen aufeinander: dort Londons Superstar Georg Frederic, Single und leiblichen Genüssen nicht abhold; hier der bescheidene, zu seiner Zeit unverstandene Thomaskantor, verheiratet und kinderreich, der bis dato noch nie eine Seezunge gegessen hat und alsbald auch Austern genüsslich zu schlürfen lernt. Sie treffen einander anlässlich der fiktiven Aufnahme in die Societé der musikalischen Wissenschaften. Komödienschreiber Paul Barz gibt mit seiner hypothetischen Story jedweden Mimen ein witzgewaltiges Spielmaterial an die Hand. Nun weiß es der fantasiebegabte Regisseur Lars Wernecke für eine temporeiche Inszenierung im Nikolaisaal zu nutzen. Die Szene ist mehr als kärglich: hinter einem hohen Spielpodest haben sich die Sinfonietta Potsdam (Orchester der Universität) und der komplette Campus Cantabile (Universitäts-Chor) ausgebreitet. Zu den kraftvoll, federnd und frisch angestimmten messianischen „Halleluja“-Klängen von Händel erscheint dessen räsonierendes Faktotum Herr Schmidt (Attila Borlan), der zwei grabplattengleiche Bodenluken öffnet, denen die verblichenen Compositeurs quicklebendig entsteigen: in barockprächtigen Kostüm George Frederic, in schlichtem olivgrünem Gewand Johann Sebastian. Optische Gegensätze (Bühnenbild/Kostüme von Anja Laterne), die ihre Fortsetzung in den Disputen über Gott und die Welt, Genie und Mittelmaß, Arbeitsprinzipien, Kampf ums Publikum, Kunst und Macht erfährt – Klatsch und Tratsch inklusive. Berstend vor Temperament zeigt sich Ingo Brosch als „charmantes Ungeheuer“ alias Händel. Unwiderstehlich, wie er Teile aus seiner „Wassermusik“ gestenreich „dirigiert“ oder mit Johann Sebastian zu den Klängen aus dessen 4. Brandenburgischen Konzert hinreißend witzig eine tanzkesse Sohle aufs Parkett legt. Den bodenständigen Sachsen weiß Julius Griesenberg als zunächst schüchternen, staunenden und zurückhaltenden, dann immer mehr Souveränität gewinnenden und prinzipienfesten Künstler darzustellen. Beider Textverständlichkeit ist enorm. Für die entsprechenden Musikbeispiele hat Kristian Commichau tief, aber nicht abwechslungsreich in die Schatztruhe der Tonsetzer gegriffen. Händel meldet sich vorrangig mit seiner „Wassermusik“ zu Wort, Bach mit leider viel zu langen Ausschnitten aus der „Johannespassion“. Vieles davon ist, wie der Schlußchor „Ruhet wohl“ als nunmehrige Schlafmusik für den echauffierten Händel, aus jeglichem Zusammenhang gerissen. Zunehmend gewinnt man den Eindruck, Dirigent und Universitäts-Klangkörper wollten sich in Szene setzen und bedurften nur eines „Aufhängers“, den sie im Theaterspektakel fanden. Für Händel erwählen sich die Musiker einen modernen Spielgestus, wobei es bei den Bläsern arge Intonationsprobleme gibt und auch das Zusammenspiel einige Wünsche offenlässt. Bei Bach orientieren sie sich an einer klangstrengeren, historisierenden Spielmanier. Diese Differenzierung schaffen die Choristen nicht. Dem Übergewicht der solide tönenden Frauenstimmen wissen die Männer mit ihrem nicht immer klar konturierten Gesang kaum Paroli zu bieten. Nach drei langen Stunden duzen sich die Komponisten, versichern sich einander ihres Genies, kehren in die Gruft zurück. Ihnen zu Ehren erklingt noch einmal Händels „Halleluja“ und Bachs „Dona nobis pacem“-Botschaft aus der h-Moll-Messe. Dann tobt der Beifall.
Peter Buske
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